Freitag, 13.09.2024
Während Ortwin sich Salz und Sand des Schwarzen Meeres vom Körper duscht, mache ich mich im Speiseraum über die Bordverpflegung her. Wir haben Überfahrt mit Vollpension gebucht und ich bin gewillt, das in vollem Umfang auszukosten. Ich setze mich zu Michael aus Freiburg, wir waren uns schon in Burgas begegnet und nun können wir uns bei einem Teller Kohlgemüse mit Fleisch in Ruhe austauschen.
Das Abendessen gibt mir schon eine Vorahnung, dass die Verpflegung an Bord deftig und reichhaltig sein wird. Als vegetarisch oder vegan lebender Mensch sollte man daher vorab gut einkaufen. Ich als Flexitarier stelle mich einfach darauf ein, zu essen, was mir vorgesetzt wird. Notfalls habe ich noch ein paar proteinreiche Müsliriegel im Gepäck und im Bordshop gibt es Kartoffelchips und Bier (aber es wäre ja kein Urlaub, wenn ich mich wie zu Hause ernähren würde).
Ortwin bekommt gesäubert meinen Nachtisch auf den Nachttisch geliefert. Wir haben beide ein großes Schlafdefizit, aber ich beschließe den Abend noch auf dem Sonnendeck, dem einzigen Deck, das wir als Passagiere erreichen, ausklingen zu lassen. Ein einheimisches Bier, EU-Roaming, mal Mama und Papa sagen wo wir uns befinden und einen Blaubeer Sommersby später verziehe auch ich mich in die Kabine. Endlich mal wieder Haare waschen, Wasserdruck und eine Toilette, durch die man keine Gleise sieht aber bei jedem Spülen Angst hat mit weggesaugt zu werden. Dann sinke ich in einen tiefen Schlaf.
Samstag, 14.09.2024
06:07 Uhr. Ich erwache auf natürlichem Wege und muss mal eben für kleine Matrosen. Dabei stelle ich fest, dass das Schiff noch immer sehr stabil ist. Ein Wunder der Technik? Nein, ein Blick aus dem Bullauge (ich nenne es so, Fenster wäre bei der Größe wohl aber korrekter) verrät: Wir liegen noch immer im Hafen von Burgas. Wie langweilig. Ich liege also auch wieder und döse weg.
06:48 Uhr. Mein Mittelohr vernimmt ein Motorengeräusch. Metallisches Schieben und Klappern. Mein Kopf wird sanft gegen die Kopfseite des Bettes gedrückt. Beginnt die Überfahrt nun? Restmüdigkeit weicht Aufregung. Bei mir zumindest, Ortwin schnarchelt sanft vor sich hin. Ich beschließe erst noch einen Blick aus dem Bullfenster zu werfen, bevor ich mich anziehe und an Deck stürme um Bulgarien zum Abschied zu winken. Doch dann Ernüchterung. Wir sind noch immer im Hafen, bewegen uns kein Stück. Was für eine Illusion war denn das?
07:07 & 07:42 Uhr. Gleiches Prozedere wie eben. Ich frage mich erneut, ob das Schiff überhaupt vorhat, den Anker zu lichten und wir je Georgien sehen werden. Jedes Mal, bis sich um 08:15 Uhr endlich ein anderes Bild zeigt. Wir bewegen uns. Sanft, aber vorwärts. Ich sehe Kräne vorbeiziehen und bin erstaunt, wie ruhig die Motoren nun laufen.
Während die Schiffsschrauben sich drehen, dreht auch Ortwin sich einmal herum. Ich ziehe mich an, um das Frühstück nicht zu verpassen.
Den Vormittag verbringen wir lesend, schreibend und auf die Wellen schauend. Es hat etwas sehr Beruhigendes, das Tuckern des Schiffsmotors dauerhaft im Hintergrund zu hören und auch eine durchgängige Vibration durchläuft die Fähre. Neben dem Rauschen vom Wind platschen die Wellen mal größer, mal kleiner. Bei jedem Blick auf die weiß aufschäumende Gischt erhoffe ich mir, irgendwo zwischen Schiff und Horizont ein paar Delfine springen zu sehen. Die begleiten nämlich bisweilen die Fähren ein Stück gen Osten.
Vier Autoalarmanlagen machen sich immer wieder aufs Neue bemerkbar. Unentwegt schreien Sie und ich möchte Ihnen zurufen, dass das Schwarze Meer uns alle gerade entführt, sie sich der Situation hingeben und auch aufs Wasser schauen sollen!
»Schau ein bisschen in den ewigen Horizont für mich«
Mit dem letzten Balken 5G Verbindung – die bulgarische Küste lässt sich noch erkennen – bringe ich mein Telefon in die Kabine. Soll es auch mal ein bisschen Urlaub machen. Es hatte die letzten Tage wirklich gut zu tun, musste im Bus unermüdlich Musik spielen und Ortwin fotografieren.
Über den Tag verteilt lernen wir Dinge zur Überfahrt und dem Schiff. So berichtet ein Truckfahrer aus Frankfurt/Oder, dass er erst um zwei Uhr nachts auf die Fähre kam, weil der Zoll Probleme mit seinem Computersystem hatte. Das erklärt auch, warum das Schiff erst so spät abgelegt hat. Die Truckfahrer haben die späte Ankunft direkt genutzt und bis zum Frühstück durchgemacht. Für sie sind zwei Tage Fähre wie Urlaub, sagt er uns.
Die Fährfahrt ist bisher außergewöhnlich ruhig. Nichts zu den 13 Meter hohen Wellen, die es hier angeblich sporadisch gibt. Vor Batumi könnte sich das noch ändern, aber da wir keinen aktuellen Wetterbericht mehr abrufen können und auch keine Briefmöwe mit einer Tageszeitung parat ist, überlassen wir das unserem meteorologischen Schicksal. In unserer Reiseapotheke gibt es sonst bestimmt etwas.
Am Abend finden wir uns in einer Gruppe mit Menschen aus Deutschland, den Niederlanden, der Slowakei und Georgien wieder. Es gibt Dosenbier, Wodka im großen Becher und einen Rest Kirschsaft. Was sind schon Sprachbarrieren? Man tauscht sich aus, Worte finden sich oder man braucht sie gar nicht. Grenzen und Herkunft sind egal. Das wahre Schengenabkommen kann nicht gekündigt werden; Völkerverständigung und Freundschaft überwinden alle Grenzen.
Wir bekommen Einladungen nach Georgien und Armenien – müssen die Reiseplanung eventuell noch einmal ändern. Über die Töchter, die uns im Laufe des Abends mehrfach zur Heirat angeboten werden, verhandle ich mit Ortwin und Rücksicht auf seine Liebste Stillschweigen.
Das Austrinken ist nicht das Problem. Ich hab Angst vorm nächsten Becher.
Ortwin, beim ersten Becher Wodka
Wir enden auf dem Schiffsdeck, lassen uns den Wind des Schwarzen Meeres um die Nase wehen und schauen an den Sternenhimmel. Das Schaukeln des Schiffs ist sanft und wir werden müde wie die Säuglinge – womöglich liegt es auch am Alkohol oder der vielen frischen Luft. Wer weiß das schon?
Sonntag 15.09.2024
07:05 Uhr. Den angedachten Frühsport auf dem Hubschrauberlandeplatz können wir wohl streichen. Ich bin gerade erst aufgewacht und Ortwin der Inbegriff der REM-Schlafphase. Also trainiere ich zumindest meine Augen und lese. Lesen gehört ohnehin zu den drei Hauptbeschäftigungen an Bord. Der Tag besteht im Grunde aus Büchern, Bier & Bord-Verpflegung. Um kurz nach acht überlasse ich Ortwin seinem Schicksal als Schiffsdornröschen und gehe in den Speiseraum. (Nach dem Frühstück verteidigt er sich mit »Ich kann doch nichts dafür, dass das hier so schön schaukelt«.)
Zur Feier des Tages gibt es für alle ein Frühstücksei. Damit meine ich nicht, dass sich fünfzig Menschen… egal. Aber die Eier liegen wohlgemerkt nicht einfach am Buffet aus, sondern werden persönlich vom Smutje ausgehändigt. Hier herrscht noch Recht und Ordnung.
Um halb neun schaue ich, ob Ortwin inzwischen von Neptun wachgeküsst wurde, oder ich Frosch spielen muss. Da er noch immer schläft und ich keine Krone bei mir habe, beschließe ich ein paar Selfies mit ihm zu machen. Er widerspricht nicht.
Nach den Selfies starre ich ihn kurz an und wecke ihn durch meinen Blick. (Vielleicht habe ich ihn auch an der Nasenspitze gekitzelt, ich erinnere mich nicht mehr genau). Ortwin bedankt sich und verspricht sogleich zum Frühstücken zu kommen.
Dort sitzen wir mit unserer lieb gewonnenen Gruppe zusammen, freuen uns noch immer über das Frühstücksei und diskutieren, ab wann der richtige Zeitpunkt für Bier gekommen ist. Am Nebentisch wird diese Frage parallel bereits mit JETZT beantwortet.
Wir warten dann doch noch etwas, der Tag treibt dahin wie die Fähre.
Nach dem Mittagessen wechseln wir in die Kabine und machen ein Schläfchen, bis zum Abendessen wird gelesen oder erneut das Ende des Horizonts gesucht. Delfine wurden zwischenzeitlich gesichtet, leider ohne uns. Dafür gibt es Besuch von einem Turmfalken, der sichtlich erschöpft auf der Fähre eine Pause einlegt.
Nach dem Abendessen revanchieren wir uns bei den Mitreisenden für Wodka, Pflaumenschnaps und Bier mit dem in Bukarest erworbenen Weißwein. Er geht gut weg und bald landen wir doch wieder bei Bier. Der letzte Abend klingt so Dose für Dose auf dem inzwischen dunklen Sonnendeck aus. Reisegeschichten, Lebensweisheiten und mehr werden ausgetauscht, bis sich alle nach und nach ins Bett verziehen.
Montag, 16.09.2024
Das Frühstück am Montagmorgen ist früher angesetzt. Die Ankunft in Batumi auf 8 Uhr bulgarischer, 9 Uhr Ortszeit angekündigt. Wir frühstücken noch einmal in bekannter Runde und mancher leicht verkatert.
Kaum sieht man den Hafen von Batumi, gehen die Smartphones an. Es macht pling, es macht plong – lautstarke Videotelefonate und Anrufe werden an Deck getätigt. Jeder ist wieder in seiner Welt. Vorerst. Je näher wir der Stadt kommen (das Anlegemanöver startet dann doch erst gegen 09:40 Ortszeit), desto mehr Fotos werden gemacht und irgendwann schauen die meisten Menschen nur noch zu. Um 10 Uhr ist das Schiff vertaut und wir tauschen Zimmerschlüssel gegen unsere Pässe. Doch von Bord kommt noch niemand. Erst als mehrere Menschen vom Zoll das Boot betreten und im Raucherraum eine provisorische Migration aufbauen, bildet sich eine Schlange. Alle ohne Lkw haben Vorrang, sie müssen ohnehin den Weg frei machen, bevor die Lastkraftwagen herunterkommen. So dauert es nicht lange und wir bekommen endlich einen Stempel in unsere Pässe. Zwei unserer Gruppe steigen auf ihre Motorräder. Sie fahren über Georgien hinaus, bis in den Iran, Pakistan und wieder zurück. Wir steigen aus und haben nun zwei volle Tage Batumi vor uns. Ursprünglich, dachten wir, müsste man sich von der Schifffahrt erholen. Jedoch sind wir wunderbar erholt und entspannt wie lange nicht mehr. Hallo Batumi, tschüss du schöne Zeit auf See!