Der letzte komplette Tag in Georgien!.
Mein aktueller Reiseroman hat mich gestern Abend schon zu lange wach gehalten, ich möchte weiterlesen. Bevor es in den Kunstpalast Georgiens geht, gibt es ein kleines Frühstück.
Ortwin, als passionierter Museumsbesuchsverweigerer, wird für einige Stunden im Hotel abgestellt. Ich lasse das Fenster auf Kipp und stelle ihm eine Flasche georgischen Wein hin.
Eintritt 5 Lari (ca. 1,67€) und das Gebäude selbst ist schon mal beeindruckend – ein Palast, der dem Namen gerecht wird. Das Haus wurde 1895 vom deutschen Architekten Paul Stern entworfen und ist, wenn ich es erst richtig verstanden habe, erst seit 2009 ein so schöner Ort. Davor drohte der Kunstpalast, ein verstaubtes Relikt vergangener Zeiten zu werden. Heute zeigt er sich in restauriertem Glanz und beherbergt eine faszinierende Sammlung.
Von Kunst und Keramik bis hin zu Kleidung aus der Zeit der georgischen Könige – die Exponate sind vielfältig. Beeindruckend sind über das Museum verteilte Möbelstücke, die den Glanz vergangener Herrscherdynastien spürbar machen. Ich spaziere durch die prächtigen Säle und stets knarzen die Dielen. Nur beim Betrachten der Gemälde, Teppiche, Goldschmiedearbeiten und der Roben, die einst Adelige trugen, herrscht Ruhe. Ich begegne nur zwei anderen Menschen.
Das Haus selbst strahlt Geschichte aus, die dicken Mauern und verzierten Decken erzählen von einer anderen Zeit. Ganz oben ist ein kleiner, fast versteckter Raum. Gemütlich. Ich würde zu gern die Spieluhr in Betrieb hören.
Noch fasziniert vom Kunstpalast mache ich mich auf den Weg zu Ortwin und wir weiter zum nächsten Ziel des Tages.
Wir haben leider bislang nicht ganz herausgefunden, wie man mit dem Bus aus der Stadt herausfindet, deswegen geht es mit dem Bolt auf einstündige Fahrt in einen bergwärts gelegenen Vorort (ca. 14 €).
Unser Fahrer bringt uns auf direktem Weg zu dem von Ortwins Leber präferierten Weingut. Zielstrebig steuert er am Stau vorbei und befährt den geschotterten Randstreifen. Ich bin dank meines Mitbewohners eine solche Fahrweise aus GTA gewohnt, bleibe entspannt und lächle Ortwin zu. Zur Entspannung gehen wir heute oder morgen noch Achterbahn fahren.
»Ich hatte schlimmeres erwartet, was nicht heißt, dass ich keine Angst hatte«
Ortwin, angeschnallt
Es wären noch 350 Kilometer zurück nach Batumi. Aber wir sind schon da. Für uns gefühlt mitten im Nirgendwo lässt der Fahrer uns raus. Das Schild am Tor zeigt, dass wir richtig sind, aber es ist keine Menschenseele zu sehen. Kurz darauf öffnet sich das automatische Tor und vom Hof wird uns freundlich zugewinkt. Wir treten ein und es fallen sofort die großen Tonfässer auf der Wiese auf. Unter großen Weinreben, welche die Einfahrt säumen, gehen wir auf die einladende Terrasse zu. Wir sind zu früh, werden aber herzlich willkommen geheißen und kurz darauf, erfreulicherweise zu zweit, zur Führung in den Weinkeller gebeten.
Die Iago Winery, gelegen im Dorf Chardakhi in der Region Kartli, ist ein kleines, aber renommiertes Weingut in Zentralgeorgien.
Überraschenderweise haben wir trotz unserer super kurzfristigen Anfrage keine 24 Stunden vorher per Mail eine Weinverkostung mit kleiner Führung durch die heiligen Hallen zugesagt bekommen.
Iago Bitarishvili, der Besitzer, verwendet ausschließlich die lokale Rebsorte Chinuri, eine weiße Traube, die in dieser Region heimisch ist. Die Weine werden nach der traditionellen georgischen Methode in Qvevris hergestellt, großen Tonamphoren, die in den Boden eingelassen sind. Diese Technik der Weinherstellung ist über 8.000 Jahre alt und prägt den einzigartigen Charakter der georgischen Weine.
Die Iago Winery war eines der ersten kleinen Weingüter in Georgien, das nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion mit der Abfüllung und dem Export begann. Zuvor dominierten staatliche Weingüter die Produktion. Iago setzt sichtbar auf Qualität und Handarbeit. Mit nur etwa drei Hektar Weinbergen produziert das Weingut jährlich rund 8.000 Flaschen Wein. Aufgrund der geringen Menge wird der Großteil der Produktion exportiert, während nur ein kleiner Teil vor Ort verkauft und verkostet wird. Wir erleben gleich die Vielfalt des kleinen Betriebes.
Was die Herstellung angeht, verwendet Iago keine industriellen Prozesse. Traditionell setzt er auf wilde Hefen, die auf den Trauben vorhanden sind, um den Fermentationsprozess zu starten. Dies führt dazu, dass jeder Jahrgang einzigartig ist. Natürliche Bedingungen beeinflussen den Geschmack des Weins jedes Jahr aufs Neue. Nach der Gärung wird der Wein per Hand aus den Qvevris geholt und in Flaschen abgefüllt.
Die kleine Größe des Weinguts und der handwerkliche Ansatz der Iago Winery sind ideal für Weinliebhaber, aber auch wir haben Spaß. Iago kommt immer wieder an die Tische der drei Kleingruppen, schenkt nach und beantwortet Fragen. Auf dem Tisch gibt es eine abwechslungsreiche Auswahl an kleinen Äpfeln, getrockneten Kirschen, Walnüssen, Mandeln und Erdnüssen. Dazu mutmaßlich eingelegte Kornelkirschen, ein würziges Kräuterpesto, Schafskäse, Feta und eine Joghurtcreme. Frisches Brot, Croûtons, Feigen, Weintrauben, Pflaumen und Birnen.
Wir trinken traditionell hergestellten Amber Wine, der mit seiner typisch orangen Farbe und fruchtigen bis kräuterigen Aromen überrascht. Zum Vergleich gibt es einen „klassisch“ hergestellten frischen Weißwein, einen nicht verkäuflichen Rotwein sowie den unvermeidlichen Cha-Cha.
Dieser wird aus dem Bodensatz des Amber Wines hergestellt und spielt in einer ganz anderen Liga als die herkömmlichen Magenschließer unserer letzten Restaurantbesuche. Weitere Höhepunkte sind ein Pet Nat, ein Perlwein sowie ein Kirschlikör, natürlich alles aus eigener Produktion.
Eine absolute Empfehlung, wenn man schon mal in Tblisi ist. Hier steht auch die Kreislaufwirtschaft im Vordergrund und man merkt, dass der Besitzer aus dem Herzen spricht, wenn er darüber philosophiert, warum er auf Pestizide verzichtet und wie der Trester natürlich wieder zurück auf den Weinberg gelangt.
Nachdem wir uns überlegt haben, wie wir vier Flaschen des hervorragenden Weines nach Deutschland bekommen (Ja, 4 und nur Ortwins Gepäck wird aufgegeben) zahlen wir. Der nächste Kleinbus in die Stadt soll in etwa dreißig Minuten am Weingut kommen. Wir nutzen die Zeit für einen Verdauungsspaziergang in das Dörfchen. Unter Walnussbäumen, begleitet von Kühen und an Feigenbäumen entlang, streifen wir durch den Ort. An einer Weggabelung beschließen wir zu warten und müssen es nicht lange aushalten, bis in der Ferne ein Kleinbus auftaucht, auf dem ein Schild mit dem Zielstopp in drei verschiedenen georgischen Kringelschriften prangt.
»Tbilisi?« Wohlwollendes Nicken lässt uns einsteigen und eine knappe halbe Stunde später am Busbahnhof ankommen.
Ungefähr dann entdeckt Ortwin, dass Tbilisi eine Metro hat.
»Es gibt nur zwei Linien, ich würde sagen wir fahren beide«
Ortwin Trainspotter Bader-Iskraut
Die Metro ist, klassisch für die ehemalige Sowjetunion, bunkertauglich tief gelegen.
Die Zeit auf der Rolltreppe vertreibe ich mir und lese Krieg und Frieden. Unten angekommen begrüßt uns ein Känguru kommt direkt die Bahn. Also rein in den erstbesten Zug und rausgucken. Erschreckenderweise sind die Tunnel weder beleuchtet noch haben sie Fenster. Na gut, wo wir schon mal da sind, schauen wir uns zumindest die Werbung in der Bahn an.
Die Fenster sind offen und wir uns einig: Es ist die bisher lauteste U-Bahn unseres Lebens. Ortwin erinnert sie an die Metro in St. Petersburg und Nordkorea. Eines von beiden kennt er aber nur von YouTube.
Die Tbilisi Metro wurde 1966 eröffnet und war die vierte Metro in der ehemaligen Sowjetunion. Heute besteht das Netz aus zwei Linien, zusammen umfasst das Netz 23 Stationen. Die Metrostationen liegen teils mehr als 60 Meter unter der Erde. Ein Einzelfahrschein ist mit einer Kreditkarte kontaktlos bezahlbar (nimm das Deutschland) und kostet umgerechnet nur etwa 0,17 €. Neben der Bahn selbst zeigt sich in den Stationen die sowjetische Architektur und Ingenieurskunst. Viele U-Bahnhöfe sind kunstvoll gestaltet, mit Mosaiken, großen Hallen und hohen Decken – heute aber auch sehr vielen Werbetafeln.
»Ich würde gern noch mal richtig schön georgisch essen. Es ist das letzte Mal … vor morgen.«
Ortwin Vielfrass Bader-Iskraut
Aus der Metro heraus hat Ortwin eine Überraschung für mich: Aussicht. Lange nicht mehr gehabt. Auch sind wir in einem Teil der Stadt aus dem Untergrund gestiegen, den wir bislang nicht kennen. Dann fühle ich mich aber ein wenig wie im Privatfernsehen und der Show „Duell um die Welt“. Ortwin bleibt unvermittelt stehen, dreht sich nach links, schaut nach oben und sagt »wir sind da«.
Die Nutsubidze Skybridge, auch als „Skywalk“ bekannt, ist ein ziemlich verstecktes Highlight in Tbilisi. Sie verbindet zwei sowjetische Wohnkomplexe hoch oben über der Stadt. Schon der Weg dorthin ist ein kleines Abenteuer. Ortwin ist überzeugt, dass es einen Fahrstuhl geben muss, also machen wir uns auf die Suche. Gefunden haben wir ihn zunächst nicht, also geht es ins Treppenhaus – bis zum 12. Stock. Dort begegnen wir einem Amerikaner, der uns mitteilt, dass es nicht weitergeht, weil die Tür blockiert ist. Also wieder runter.
Unten zeigt uns schließlich eine ältere Frau den versteckten Fahrstuhl. Man wirft 20 Tetri (ca. €0,07) pro Person in eine Art Briefkasten und darf dann nach oben fahren. Im 14. Stock angekommen, bietet sich ein Ausblick auf brutalistisch-brüchige Sowjetarchitektur, zumindest, wenn man schwindelfrei ist. Die Betonbrücke ist in die Jahre gekommen, es gibt ein Loch im Boden, durch das man direkt nach unten schauen kann, und die rostigen Geländer wirken zwar stabil, aber vertrauenerweckend ist etwas anderes.
Was diese Brücke wirklich spannend macht, ist die Tatsache, dass sie zwei Gebäude verbindet und man über sie auf eine andere Ebene der Stadt gelangt. Der Ausblick über Tbilisi ist beeindruckend, die ganze Konstruktion allerdings wirkt ein wenig surreal – fast wie aus einer anderen Zeit. Nach dem Spaziergang über die Brücke nehmen wir schließlich wieder den Fahrstuhl. Weitere 20 Tetri pro Person, aber das war’s wert.
Dann Bus, Metro und Fußweg zum Abendessen im RIGI.
Das bisher fancigste Lokal, Tblisi-typisch sowohl am malerischen Fluss als auch an der offensiv befahrenen vierspurigen Straße gelegen, versprüht Showküchen-Vibes. Die Kellner sind ausnehmend freundlich und kaschieren bis zuletzt sehr erfolgreich, dass sie wohl nur Georgisch sprechen, das allerdings hervorragend.
Wir spachteln klassischen georgischen Kalakuri Salad, dieses Mal mit geschälten Gurken und Tomaten und ganzen Walnüssen.
Dazu Pickles mit den üblichen Zwiebeln, Gurken und weiterhin nicht identifizierten Grünzeug sowie interessanterweise einer Essigbirne. Letztere für mich nur in kleinen Stücken genießbar. Alles zusammen, kombiniert mit dem frischen Brot, ist eine sehr leckere und stimmige Vorspeise.
Die Hauptspeise besteht aus vier gut gewürzten Bratwürsten, je zwei verschiedene Sorten, serviert mit einem Blattsalat, der mit eingelegten Kirschen und Walnüssen mariniert ist.
Dazu gibt es eine Art Beerenketchup, fermentierte Sellerie creme, gratiniertes Süßkartoffelpüree und Salat mit Kirschen.
Georgische Küche, das Yolo der Haute Cuisine.
Abschließend ein Dessert mit Eis, Schmand und gehackten Nüssen für Ortwin.
Nach den Erfahrungen auf dem Weingut haben wir Angst vor einer Enntäuschung und entscheiden uns für einen Hauswein.
Davon aber sicherheitshalber einen Liter.
Die Bäuche sind voll und die Beine schwer als wir im Hostel ankommen und müde in die Betten sinken. Was für ein Tag.