Die Rückreise

Donnerstag, 26.09.2024

Zum letzten Mal wecke ich sanft Ortwin. Heute halte ich meine elektrische Zahnbürste an sein Bein und er wird in Schallgeschwindigkeit wach. Vor unseren Betten liegt ein geschnürtes Bündel. Darin: Vier Flaschen georgischer Wein, bestmöglich gepolstert. Während ich meine Dinge aus dem Bad zusammensammle, regt sich Ortwin immer mehr. Schweigsam packen wir alles Weitere in unsere Rucksäcke. Ich checke uns bereits online ein, auch wenn der Flug erst morgen früh geht. Ja, Flug. Leider. Wir haben mehrere Varianten durchgedacht, aber es läuft immer auf zwei Probleme hinaus:

• Route 1: Zurück übers Schwarze Meer mit der Black Sea Ferry
Dagegen spricht: Ortwin möchte nicht den gleichen Weg zurück nehmen

• Route 2: Mit dem Zug durch die Türkei
Dagegen spricht: auf der Strecke Ankara-Tblisi-Baku fahren leider noch keine Personenzüge, wir hätten also eine Handvoll zusätzlicher Reisetage und mehrere Busfahrten

Route 3: Mit dem Zug über Russland
Dagegen spricht: unsere Väter, die es uns verboten haben

Also habe ich in den sauren Apfel gebissen und uns zwei Sitze im Billigflieger von Kutaissi nach Schönefeld (bei Berlin) gebucht. Am Freitag um 06:20 Ortszeit – also 4:20 Uhr Deutscher Zeit. Womit wir nach vier Stunden Flug um 8:30 Uhr landen sollten. Zuvor nehmen wir von Yerevan einen Bus nach Tbilisi. Das hat logistische und Aussichtsgründe. Wäre unser Rückflug nicht so früh, hätten wir äußerst entspannt den Nachtzug von Yerevan über Tblisi direkt bis Kutaisi nehmen können, aber es hängt an einer knappen Stunde. Also steigen wir um zehn Uhr morgens in einen Minibus von 2020bus.com und sind gespannt, ob wir, wie geplant, um 15 Uhr in Tbilisi sind.

Ein Blick auf die Route verrät Ortwin und er wiederum mir, dass wir am Sewansee – dem blauen Juwel Armeniens – vorbeifahren. Gespannt blicken wir nach rechts aus den Fenstern. Erst sieht es nach einem großen See aus, dann, ein paar Minuten später, nach einem Meer. Es verschlägt mir die Sprache, der See und die Wolken treffen hier aufeinander. Wie ein Austausch der Elemente schweben die Wolkenschleier über dem See und die Wellen darunter. Wir sind auf 2000 Meter Höhe. Ein gigantisches Bild. In meinem Kopf ist es gespeichert, aus dem Bus heraus wäre kein Foto diesem Spektakel gerecht gewesen. Ich flüstere Ortwin »hier müssen wir noch einmal her« zu. Er nickt oder zuckt im Schlaf, wer weiß das so genau.

Die Fahrt über schaue ich zum Fenster hinaus und höre Michael Endes Momo. Im Zug kann ich lesen, im Bus wird mir unwohl dabei. Noch so ein Vorteil der Schiene. Vor der ersten Grenzkontrolle übermannt mich doch noch die Reisemüdigkeit und in gewohnter Manier werde ich, für die Kontrolle des Reisepasses aus dem Schlaf gerissen, muss sogar aufstehen – eine Hose trage ich dieses Mal glücklicherweise. Nach der armenischen Grenzkontrolle geht es direkt zur georgischen. Hier müssen neben uns Passagieren, der Kleinbus umfasst 15 Menschen + Fahrer, auch alle Gepäckstücke raus. Anstehen, lächeln, Foto, Stempel. Ortwin wird sogar durchleuchtet. Diagnose: Krumme Wirbelsäule, muss am schweren Rucksack liegen. Hoffentlich geht es dem Wein gut.

An den Grenzen laufen Straßenhunde herum. Niemand fragt sie nach einem Pass, stattdessen werden sie mit Resten gefüttert. Größere vierbeinige Freunde auf der Straße lassen den Bus bisweilen langsamer fahren oder ausweichen. Das Warnschild „Achtung Kühe“ sehe ich hier auf der Fahrt zum ersten Mal.

In Tbilisi angekommen haben wir noch eine knappe Stunde, bis unser Zug fährt, und sind nicht am richtigen Bahnhof. Also fahren wir zunächst Metro. Das hektische Tbilisi ist heute für uns nur noch eine Umstiegsstadt. Am Bahnhof angekommen nutzen wir den Foodcourt der Bahnhofsmall für ein schnelles Essen und bereuen es anschließend.

Ortwin hat uns diesmal nur die zweite Klasse gegönnt. Das erdet, ich nehme an, er möchte uns wieder an unseren Alltag zweiter Klasse gewöhnen. Ich döse auch hier erst mal weg. Als ein Schaffner mich weckt und nach dem Ticket fragt, schaue ich auf den leeren Platz neben mir. »eTicket?«, fragt er. Ich nicke und der Schaffner auch, wobei es sich bei mir eher um ein Ort-Ticket handelt. Wo ist der eigentlich? Ich sehe ihn hinter der Durchgangstür zum nächsten Wagen. Warum steht er dort herum, er sitzt doch sonst so gern.

[Anmerkung Ortwin:] Ortwin hat sich eine der wenigen Toilettenplätze im Zug gesichert, nur leider hat der Schaffner den Waggon mittlerweile abgeschlossen und er kommt nicht zurück. Schade, aber die Leute im Türbereich sind sehr nett.

Die Fahrt zieht sich diesmal und wir bekommen weder Kaffee noch Tee serviert. Das kommt davon, wenn man privat und nicht Business reist.

Vom Bahnhof müssen wir ein Taxi zum Guesthouse nehmen. Dort bleiben uns nach Ankunft und kurzem Ausflug zum Supermarkt für Wasser und Abendbrot Erdnüsse noch etwa fünf Stunden Ruhe. Dann geht es zum Flughafen und ich lande das erste Mal auf dem Berlin-Brandenburg Airport.  Dann ist die Reise vorbei. Aber keine Angst, ich habe noch ein bis zwei Blogposts, um herunterzukommen. 

FunFact: Bei Dreharbeiten auf der BER Flughafenbaustelle habe ich dort 2019 mein Fahrrad auf dem Rollfeld anschließen können.

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