Montag, 12.05.2025
Der Rucksack steht schon seit Tagen einigermaßen fertig gepackt bereit. Letzte Dinge habe ich daneben geworfen – ob sie alle hineinpassen? Mein Blick fällt darauf, als ich verschlafen um halb acht aus dem Zimmer stapfe. Schwarzer Tee, Hafermilch und noch eine Runde Schreibtisch – Bürokratie, die nichts mit der Reise zu tun hat, aber noch erledigt werden muss, will nun mal erledigt werden. Danach steht lediglich noch duschen, fertig packen, vom Mitbewohner verabschieden und anziehen auf der To-Do-Liste. Die Reihenfolge gehört überarbeitet, aber der Mitbewohner schläft eh noch.

Um halb elf reiße ich mich zu Hause los und mache mich mit Zwischenstopp im Filmrauschpalast (auch notwendiges Ehrenamt will erledigt werden) auf zum Hauptbahnhof. Dort angekommen, gesellen sich Deutsche Biere zu meinem Gepäck – Gastgeschenk für meine Unterkunft heute Nacht. Der Zug rollt pünktlich ein und ich erfreue mich am komfortablen Einzelplatz in der ersten Klasse. Rückwärts rolle ich raus aus Deutschland. Leider mit Fensterholm im Blickfeld, bei der Reisegeschwindigkeit von durchschnittlich 250 Km/h des ICE fällt es aber teils eh schwer, der Außenwelt zu folgen.

Ein Feuerwehreinsatz an der Strecke zwingt uns, bei Fulda abzubiegen, um über Würzburg Richtung Aschaffenburg bei Hanau wieder auf die geplante Strecke zu kommen. “Pauschale Zeit 30 bis 40 Minuten” tönt es aus den Lautsprechern. Abwarten, ob das klappt. Unterwegs bekomme ich die Adresse meiner Unterkunft und freue mich bereits auf das französische Frühstück in der Lieblingsbäckerei Land & Monkeys.
Das gestrige Abendessen, nein, Nachtmahl trifft es besser, hat mich bisher nicht hungrig werden lassen. Auch wenn der Magen nicht knurrt, öffne ich gegen vierzehn Uhr vorsorglich die Karte der Borgastronomie, einen Wagen weiter. Das tue ich erst einmal nur digital, wer weiß, ob es sich überhaupt lohnt, aufzustehen. Es lohnt sich nicht. Die Karte der Deutschen Bahn ist traurig gegen die kulinarische Abwechslung in tschechischen Zügen. Ich öffne eines der Biere und belasse es bei dieser Verpflegung an Bord.
Die Müdigkeit der kurzen Nacht macht sich bemerkbar und ich freue mich, dass ich das Nackenkissen doch noch in mein Gepäck gezwungen habe. Ich reise minimalistisch, doch ohne ist es sich wesentlich schlechter. Die vermutlich ab Tunesien für die restlichen Monate nicht mehr notwendige Jacke dient als kleine Decke, denn die Klimaanlage in Wagen 28 ist heute sehr motiviert. Ich döse zu sanften Klängen vor mich hin.
16:40 Uhr: Plötzlich Aufruhr, hinter Musik und Geräuschunterdrückung der Kopfhörer vernehme ich eine Ansage. Wir sind kurz vor Darmstadt und der Zug hat technische Probleme. Wie praktisch, dass gerade dort Ersatz bereit steht. Gleicher Bahnsteig, gegenüberliegendes Gleis und alle bitte wieder ihre Plätze einnehmen heißt es! Ich lasse den ängstigen Rentnern, die es kaum erwarten können, umzusteigen, den Vortritt. Dann packe ich meine sieben Sachen und spaziere entspannt zum gleichen Platz im ICE-Austausch. Als ich mich dort wie zuvor eingerichtet habe, rollen wir schon weiter, diesmal vorwärts: Blickrichtung Paris.


18:36 Uhr: Im iPhone-Glas informiert mich eine SMS, dass wir die Grenze überquert haben. Hinter dem ICE-Glas bestätigt der Bahnhof Strasbourg das. Zeit, die Arbeits-SIM-Karte zu deaktivieren und die Reise-SIM zu aktivieren. Ablenkung eingestellt und der Urlaub kann beginnen.
Wird es Urlaub? Definitionssache. Ich freue mich, viel zu sehen, in die Ferne zu schauen und Alltag abzubauen. Meine Art zu reisen wird aber sicher nicht unanstrengend. Mein Kraftlevel ist momentan im Mittelfeld, ich bin gespannt, ob der heute noch leichte Rucksack morgen genauso angenehm auf den Schultern liegt und wie erschöpft ich am Mittwoch auf der Fähre ankomme. Für Paris und Marseille habe ich noch keine großen Pläne. In den Tag traben und sehen, wo es was Schönes gibt, ist auch ein Plan.

Auf den französischen Schienen hat der ICE richtig Spaß und beschleunigt auf ~330 Km/h. Menschen fotografieren beeindruckt die Anzeige. Ich natürlich auch. Der Lokführer schafft es, die aufgebaute Verspätung zu reduzieren, wenn auch nicht gänzlich einzuholen. Wir kommen nicht wie geplant um 19:54 Uhr, aber nur 25 Minuten später in Paris Est an. Nach Abschiedsfotos mache ich mich auf in die Metro. Das Ticket dafür ist schon auf dem Telefon und ich muss das Gerät nicht einmal entsperren: An den Scanner halten genügt, NFC sei dank. Hallo Paris, hallo Zukunft, die hier so selbstverständlich ist.


Abend: Freunde sind das beste Ziel, und wenn die Freunde gerade selbst reisen, sind deren Freunde ein würdiger Ersatz. So ist es auch hier, und wir haben einen leckeren und schönen Abend im 14. Arrondissement. Die Couch ist bequem und für zwölf Tage das letzte Bett in Europa, das nicht auf Schienen oder Schiffen steht. Gute Nacht Paris flüstere ich und die Ratte Rémy flüstert zurück und beschert mir schöne Träume.
Dienstag, 13.05.2025
Am Morgen komprimiere ich meinen Rucksack erneut und mache mich auf die Suche nach einem Leihrad. Das war schon 2024 mein Plan, doch die Vélib App der Pariser Stadträder wollte damals nicht mitspielen. Heute ist die App vorerst nicht das Problem, ich finde einfach keine Räder. Die ersten zwei Stationen sind leergefegt. Ich beschließe weiterzulaufen und stoße auf einen Markt. Also erwärme ich meine Französischkenntnisse und bestelle zwei Datteln und zwei Feigen. Welch süßes Erfolgserlebnis für den weiteren Spaziergang.





Mangels Fahrrad und Entfernung zur nächsten Land&Monkeys-Bäckerei suche ich mit aufkommendem Appetit eine andere Option und finde MAISON BINDER – ein vegetarisch/veganes Restaurant nicht weit entfernt. Während ich auf die Karte warte, schreibe ich ein paar Worte zu meiner Reiseliteratur. Beim Stöbern in meinen digitalen Seiten stieß ich auf das bereits gelesene FREIHEITSGELD von Lieblingsautor Andreas Eschbach und blätterte erneut darin herum, fühlte mich wohl und las weiter. Kurz darauf empfahl mir eine vertrauenswürdige Person im Podcast Sprechkabine die Biografie Harry Rowohlt: Ein freies Leben von Alexander Solloch, die ich blind kaufte. Nun lese ich abwechselnd: Zukunft und Vergangenheit, Fiktion und Realität.
Da kommt die Karte, ich bestelle, lese, trinke, esse, stoße auf und bestelle Nachtisch. Herrlich.





Beim Weitergehen finde ich drei einsame Velos und buche mir eines. Es ist ein eBike und ich denke an mein Fahrrad Klaus, der seinen Urlaub in Berlin verbringt. Durch Paris radeln ist herrlich und ungewohnt: kaum Schlaglöcher, viel abgetrennte Wege und andere Sicherheitsmaßnahmen, um die verschiedenen Verkehrsteilnehmer voreinander zu schützen. Ich radle herum, dann noch eine Runde um den Blog und gebe anschließend den Rucksack in einer Gepäckaufbewahrung ab. Zuvor muss ich natürlich drei verschiedene Apps herunterladen und den günstigsten Anbieter recherchieren. Während die Preise bei Schließfächern noch festgelegt waren, liegt die Spannbreite inzwischen von 3,50 – 9,50 € für ein Gepäckstück. Ohne Rucksack mache ich mich auf zur Foire du Trône, um etwas Achterbahn zu fahren.






Der Weg dorthin führt mich über die Coulée verte René-Dumont – früher Bahntrasse, heute eine grüne Promenade mitten durch Paris. Die Strecke erinnert mich sofort an die High Line in New York, die ich 2011 besucht habe – nur wilder, grüner und vielfältiger. Was sofort auffällt: Es ist sauber. Überall stehen Mülleimer, und die Grünanlagen sind gut gepflegt. Als Berliner fast schon irritierend ordentlich. Hier lässt sich kaum vermuten, dass man sich in einer Millionenstadt bewegt, alles ist ganz ohne Trubel. Vielleicht ganz gut auf dem Weg zum Rummel.




Was für ein Volksfest. Es ist riesig und ich brauche bestimmt eine halbe Stunde um zumindest alles einmal gesehen zu haben. Ich mag Achterbahnen und Fahrgeschäfte vielerlei Arten. Besonders große, mobile Achterbahnen finde ich spannend. Meine Coaster-Count-App hat mir drei, mir unbekannte, große Bahnen angezeigt, der Rest ist klein und langweilig unspektakulär. Das Gelände ist groß und es gibt neben schnellen, großen und hohen Attraktionen auch viele kleine. Die Geisterbahnen würde ich gern testen, aber allein erschreckt es sich nur halb so schön. Also suche ich die Achterbahnen hintereinander auf, jauchze und schreie jeweils lauthals und mache mich nach dem Spaß wieder auf den Weg zurück.

Ich versuche es wieder per Fahrrad, stoße diesmal aber auf Probleme. Trotz aktivem Fahrradpass erkennt und entsperrt keines der Räder. Ein englischsprechender Gleichgesinnter erklärt mir, das wäre normal und schnappt mir dann das vermutlich letzte intakte Rad an der Station weg. Na gut, laufe ich eben noch etwas. Leichter Nieselregen kommt und geht und ich schaffe es schließlich ein paar Spazierminuten später noch, an ein Rad zu kommen und trete an der Seine entlang (klingt romantischer, als es ist – habe das mehr auf dem Navi als vor Ort erkannt) in die Innenstadt.






Statt Frühstück nehme ich nun Abendessen in der Land & Monkeys Bäckerei ein: Quiche, Toastie und Tarte mit Mirabellen. Allesamt köstlich. Für den Weg bzw. das Frühstück morgen in Marseille (Ankunft 6:30) nehme ich mir noch Vorrat mit und löse damit geschultert meinen Rucksack aus. Es wird Zeit, zum Bahnhof Austerlitz zu gehen. Dort geht es kurz vor halb neun weiter nach Marseille. Schlafend und darauf freue ich mich sehr. Das Nachtzugabteil teile ich mir mit drei anderen Herren. Nicht sehr gesprächigen Herren aber das ist mir heute ganz recht. Ich richte mein Bett und mache mich fertig für die kurze Nacht: Um 6:33 Uhr steige ich in Marseille aus.
