Tag 6 – Bahn oder Bus?
Samstagmorgen früh aufstehen, um mehr von Tunesien zu sehen. Nach Packen, Frühstück und den Gartenschildkröten ein tolles Wochenende zu wünschen, geht es los. Zehn Minuten Fußweg zum Sammeltaxistand und direkt eines mit zwei freien Plätzen. Nutzen wir die Fahrzeit für einen kleinen Exkurs: Ein Sammeltaxifahrer lernt in der Ausbildung das gleichzeitige Fahren, Hupen und Fluchen. Dazu mit links SMS checken, parallel die Hand zum Kassieren nach hinten recken. Weiterhin jederzeit einsetzbar: Geld zählen, Rückgeld geben und am Straßenrand stehenden Handzeichen geben. Außerdem Konversation und / oder Radio hören / bedienen. A. merkt an, dass normalerweise noch Kaffee getrunken wird – der heutige Fahrer scheint schon wach zu sein. Wir sind es auch und früher unterwegs als geplant. Wollen den Zug sicher bekommen, denn eine Zugfahrt in Tunesien soll auf viele Arten beeindruckend sein. Am Bahnhof und zwei Schalter später müssen wir erfahren, dass die Auskunft bei Seat61 – der Wikipedia für Bahnreisende – heute nicht stimmt. Kein Zug vor 13 Uhr fährt in unsere Richtung. Habe ich überhaupt schon über unsere Pläne geschrieben? Nein, ich glaube nicht. Wir wollen ans Meer. Das ist zwar auch bisher nicht weit, könnte ja aber anderswo noch schöner sein. Also ist fürs Wochenende eine Unterkunft in Minas Tirith Monastir gebucht. Eine Stadt, die wir nur mit Umstieg in Sousse erreichen. Umstiege haben den großen Vorteil, dass zwei Züge an einem Tag gefahren werden können, in der Theorie. Allem Anschein nach, aber heute nicht. Unsere Alternative nennt sich Bus, fährt woanders ab und kommt mit 40 Minuten Verspätung.













Auf dem Weg gibt es eine schöne Aussicht durch ein schmutziges Fenster. Wir beschließen, uns für die nächste Fahrt aufzuteilen und eine Person Plätze belegen zu lassen, während Nummer zwei das jeweilige Fenster von außen notdürftig reinigt, um mehr zu sein. Ich sehe Kakteenhecken und Felder mit Weizen oder so. Hin und wieder Infrastruktur und generell sehr viel Landschaft. Straßenverkäufer bieten Obst und Gemüse auf dem Standstreifen der Autobahn feil und auf nicht mehr unter Strom stehenden Masten nisten tunesische Störche – oft reckt der Nachwuchs schon den Schnabel aus dem Nest. Direkt neben der Autobahn erstreckt sich ein Golfplatz, den Blick versperrt ein von rechts überholendes Auto, das Strohballen geladen hat. Ein Friedhof, karge Wiesen, grüne Hecken, fast leere Seen und sogar Flamingos zeigen sich. Bitte verzeih, liebes Fototagebuch, dass ich das meiste mit den Augen geschaut habe, statt digital festzuhalten.





Beim Anblick der Olivenbäume läuft uns das Wasser im Mund zusammen. Später muss es Oliven geben, bis dahin knabbern wir Gurken und Erdnüsse. Etwa zwei Stunden Busfahrt später rollen wir in Sousse ein. Der Plan sieht vor, mit Fuß oder eher Taxi zur Metrostation zu kommen, um von dort heute zumindest noch mit einem Zug zu fahren. Wir entscheiden uns vor Ort, den Weg zu Fuß anzutreten und besorgen mir auf dem Markt noch einen Gürtel für die rutschende Hose. Wir fahren mit der Metro erst eine Station in die falsche Richtung. Dort ist aber die Endstation, also geht es 30 Minuten weiter bis nach Monastir. Die Tickets werden entspannt im Zug gekauft, umgerechnet 0,25 € pro Person.








Nach der Ankunft laufen wir ins Hotel, um abzuladen, und es folgt ein Spaziergang am Meer, um zwei Paar Füße zu waschen. In einem Strandnahen Gebäude begrüßt uns ein alter Herr. Er scheint das „Mausoleum of Sidi Mansour“ wie es auf der Karte markiert ist zu bewahren und zeigt uns gegen eine kleine Spende das Innere.






Der Ribat – eine massive, sandfarbene Festung aus Kalkstein – thront am Rand der Altstadt mit grandiosem Blick in alle Richtungen. Viele Treppen führen uns in unterschiedliche Räume und Winkel bis hinauf auf den hohen Turm. Von oben bekommen wir einen traumhaften Blick aufs türkisfarbene Mittelmeer. Ist das echt oder Kulisse? Beides, „Das Leben des Brian“ wurde unter anderem hier gedreht. Zum Humor des Films passt auch der Kontrast zwischen Moschee, altem Gemäuer und mit lauter Musik umher rollenden Pferdekutschen. Auf der Kutsche ist ein kleiner Generator versteckt untergebracht, und der Strom wird neben dem Lautsprecher noch in schrille LED-Schläuche geführt. Verunglücktes Disneymärchen auf Rädern und dennoch für manche ein Touristenmagnet. Wir gehen lieber auf der Promenade zurück, um uns etwas wärmer anzuziehen. An den frühen Sonnenuntergang gewöhne ich mich in der kurzen Zeit hier nicht und ebenso vergisst mein Kopf auch, wie schnell es kühl wird, wenn der große Feuerball am Himmel Schichtwechsel mit den Sternen hat.















Die beste Reiseleitung der Welt erfragt beim Hotelportier eine empfehlenswerte Adresse zum Abendessen, gerne traditionell. Die Empfehlung liegt weiter weg als das auf Google Maps nach Lehrmeister Ortwin gefilterte Restaurant. Da aber das Internet mit den Öffnungszeiten eh Unrecht behält und wir verschlossenen Türen stehen, folgen wir der Empfehlung des Einheimischen und werden nicht enttäuscht. Das مطعم دار زمان Restaurant dar zmen hat eine tolle Auslage mit vier verschiedenen Couscous-Sorten. Das macht die Auswahl nicht leicht. Es gibt auch noch viele Salate dazu und ich entscheide mich für Fisch – der freut später auch die Katzen. Schon die Vorspeise ist lecker, würzig bis scharf, Oliven gibt es auch und nur das hier überall recht ähnlich geschmacklose, trockene Baguette ist unspektakulär. Wir teilen die Fischköpfe mit den Katzen und bekommen vom Haus noch einen Minztee mit Pinienkernen als Abschluss. Das wird mein neuer Lieblingstee: Trinken, schlürfen und kauen. Süß, nussig und weich.







Beim Altstadtspaziergang gibt es einen weiteren Minztee und dann fallen wir ins Bett, während vor dem Fenster das Meer rauscht. Innehalten und festhalten.






Guten Morgen, Mittelmeer! Das Meer rauscht uns wach und nach einem kleinen Hotelfrühstück springen wir hinein, nur um im Anschluss noch einmal im Schatten zu frühstücken, was wir noch an Vorräten haben. Im Anschluss geht es in die Medina: Magnete, Postkarten und Getränke kaufen. Dann zum Hafen. Dort treffen wir eine Schülerin von A., die uns viel erzählt. Der Austausch ist dreisprachig, sehr schön und spannend. Wir lernen von- und miteinander.













Nun heißt es, Abschied nehmen von dieser wunderschönen Küstenstadt. Wir spazieren noch einmal die Promenade entlang, essen Fladen mit Gemüse und scharfer Harissaschote bevor wir im Hotel unsere Rucksäcke abholen. Die beiden haben sich inzwischen angefreundet und tuscheln hinter unseren Rücken über uns, wenn wir nebeneinander laufen.
Die zwanzig Minuten Fußweg zum Bahnhof sind sonnig, und die Stadt ist abseits der Küste nicht ganz so herausgeputzt und anders schön. Allein hier möchte ich eigentlich noch einen ganzen Tag die Sonne etwas runterdrehen und weiter durch die Straßen spazieren.
Vom Bahnhof geht es mit der Bahn (für umgerechnet 30 Cent p.P.) zurück nach Sousse. Der Schaffner nimmt uns die Hoffnung einer Weiterfahrt auf Schienen. Was uns gestern noch am Schalter gesagt wurde, scheint heute vergessen und den letzten Zug zurück nach Tunis können wir nicht mal mehr von hinten sehen. Da bleibt nur das Vierrad, ein Kleinbussammeltaxi. Wir steigen eine Station vor der Endhaltestelle aus und wechseln in ein Taxi. Dank souveräner Zielangabe von A. und kleiner Kommunikation zahlen wir hier ebenfalls keinen Touristenpreis. Nicht einmal einen Euro später und schon beim Öffnen der Tür, werden wir am Minibusbahnhof gefragt, ob wir nach Tunis weiter möchten. Verfrachtet auf die Rückbank eines zehn Personen Gefährts geht es zurück. Das Wetter ist angenehm und die Scheiben sind die Fahrt über meist offen. Es ist angenehm und wir schauen abwechselnd zum kleinen Fenster hinaus, dösen oder lesen.



Zurück in Tunis ist noch etwas Kraft über und A. lotst uns zu einem hohen Gebäude, auf dessen Dach eine Bar wartet. Ein tunesisches Bier in der Hand und grandiose Aussicht später bringt uns der Fahrstuhl zurück auf den Boden der Stadt und die Füße zum Sammeltaxi. Der Wochenendausflug endet, unsere Kräfte sind es auch. Monastir ist eine Reise wert und viele andere Städte entlang der Bahnstrecke sicher auch. Ich bin mir sicher, irgendwann werde ich den tunesischen Interrail pass „Carte Bleue“ mal nutzen und 7, 15 oder 21 Tage durch das Land reisen. Ohne Zeitdruck entschleunigen die Züge sicher ganz enorm.
