Guten Morgen, Venedig? Ich wache weit vor dem Wecker auf und suche nach dem Taschencomputer. Wo bin ich? 4 Uhr Blumenkohl – da muss Venedig noch weit weg sein. Bologna sagt das GPS und die Ohren fragen, warum es so laut ist. Irgendetwas brummt ungesund – später sagt mir ein Eisenbahnfreund, es dürfte die Klimaanlage sein. Wir stehen in Bologna Central, ich krame nach meinen Ohrstöpseln, doch kann fast eine Stunde nicht wieder einschlafen und in dieser Zeit bewegt sich der Zug kein Stück. Um 06:30 Uhr, zehn Minuten nach geplanter Ankunftszeit Venedig St. Lucia, stehen wir in Padua und mein Kopf ist direkt wieder bei Goethes Faust – Der Tragödie erster Teil:
MARTHE:
Ich bin’s, was hat der Herr zu sagen?
Was bringt Er denn? Verlange sehr-
MEPHISTOPHELES:
Ich wollt, ich hätt eine frohere Mär!-
Ich hoffe, Sie läßt mich’s drum nicht büßen:
Ihr Mann ist tot und läßt Sie grüßen.
MARTHE:
Ist tot? das treue Herz! O weh!
Mein Mann ist tot! Ach ich vergeh!
MARGARETE:
Ach! liebe Frau, verzweifelt nicht!
MARTHE:
Erzählt mir seines Lebens Schluss!
MEPHISTOPHELES:
Er liegt in Padua begraben
Beim heiligen Antonius
An einer wohlgeweihten Stätte
Zum ewig kühlen Ruhebette.






Der Nachtzugbegleiter serviert uns zum Frühstück Saft und Gebäck – Sehr angenehm und außerhalb Italiens nicht selbstverständlich: glutenfrei und vegan. Auch wenn mich das nur teilweise betrifft, ist es schön. In Italien wird Rücksicht genommen. Ich bewundere das Land für die Tatsache, dass dort seit 2023 ein landesweites Screening auf Zöliakie für alle Kinder durchgeführt wird, um die Erkrankung frühzeitig zu erkennen und Komplikationen zu vermeiden. Dadurch wird erwartet, dass das Risiko für Folgeerkrankungen wie bspw. Darmkrebs bei Zöliakiepatient:innen deutlich sinkt.
Ich frühstücke erstmal nicht, sondern putze mir mit toller Aussicht die Zähne. Dabei wieder eine kleine, aber feine Feststellung: Nachträglich installierte Bewegungsmelder sorgen im Waschraum und Toiletten für eine angenehme Begrüßung – es wird hell für mich. Der Zug verlässt nach dem Zähneputzen Venedig Mestre und lässt das zwar in Regenwolke gehüllte, dennoch schön und magisch erscheinende Venedig langsam vor mir erscheinen.










Nach dem Ausstieg spüre ich: Es ist Jackenwetter. Die ist zum Glück im Rucksack weit oben. Während ich umpacke, fasse ich einen Entschluss: weniger Gepäck ist mehr Reisequalität. Weniger Reisegepäck heißt auch weniger aufbewahren zu müssen, kostet also langfristig weniger Geld. Die Abgabe meines Rucksacks wird mich in Venedig schon über 10 € für den Tag kosten. Bei einem Schließfach, in das einfach alles gestopft werden kann, war das früher kein Problem. Heute wird es teuer. Da ich das Problem nicht nur heute in Venedig, sondern auch morgen in Wien und im Anschluss auch habe, suche ich kurzentschlossen eine Post. Der Rucksack darf in die Gepäckaufbewahrung am Bahnhof, alles Weitere kommt mit mir mit. Auf dem Weg halte ich Ausschau nach einem Karton. Doch es sind nur bereits zerkleinerte Pappen zu finden. Klar, hier wird alles per Schiff transportiert und entsprechend kompakt gemacht. Die Post öffnet um 8:20 Uhr. Fünfzehn Minuten vorher stehe ich mit ein paar Einheimischen davor und warte. Einlass, Nummer ziehen, warten. Der Postbeamte spricht kein Englisch, im Postamt gibt es kaum Handyempfang – ich bin gespannt, ob mein Plan aufgeht.
Es dauert insgesamt 1 Stunde, bis ich einen Karton habe, diesen gefüllt, einen Stift organisiert und die richtigen Formulare zusammen habe. Als ich damit wieder am Schalter erscheine, hat der Postbeamte plötzlich Englisch gelernt. So sinnvoll hat hier noch niemand die Wartezeit genutzt. Dann erklärt er mir, um ein Paket von Italien nach Deutschland zu schicken, braucht es auch eine italienische Absenderadresse. Halleluja. Dankenswerterweise kenne ich auch in Italien Menschen, deren Adresse ich sogar gespeichert habe. Ich schaffe es zwar leider nicht, auf dieser Reise in Genua vorbeizuschauen, aber zumindest als Absenderin eines Pakets an mich selbst hilft mir Freundin A. (Ja, verwirrend, ist aber wer anders) auf dieser Reise sehr.
Um 09:17 Uhr ist das bisher teuerste Paket meiner Versandgeschichte abgegeben und macht sich auf den Weg nach Deutschland. Wer wohl schneller dort ankommt? Geld spare ich bezüglich Gepäckaufbewahrung nun nicht – egal, es macht die Reise komfortabler. Werde einfach einen Tag lang nichts mehr essen. Ab morgen. Oder übermorgen. Im Bauch des Pakets befindet sich ein AirTag, ich bin also ungefähr in der Lage, Positionen von Paket und mir zu vergleichen. Ein Wettrennen, das seinesgleichen sucht.




In Venedig übernimmt die Reiseleitung nun Freund J. – Wenn auch nur Remote. Er schickte zwei Links und schrieb:
Für Venedig kann ich dir übrigens noch diese Ecke hier empfehlen: https://maps.app.goo.gl/JpzMy26SKFnqUyws7
Der Pizzaladen dient zur Orientierung. War damals solide. Aber die Gegend darum ist toll, weil die einzige in der ganzen Stadt mit Bäumen und Park und so. Falls du ein paar Euro für die Ausstellung übrig hast, ist auch das sehr zu empfehlen! Die Länderpavillons sind für sich schon total spannend. Im Moment müsste dazu noch die Architektur-Biennale stattfinden. Mit Ausstellungen in eben jenen Pavillons







Hach, Freunde, so praktisch. Ich bedanke mich bei J. später mit einer Pizza, einem Eis und Aperol. Da er leider nicht vor Ort ist, werde ich alles selbst verspeisen müssen.
Ich steuere mit dem Linienwasserverkehr den von J. empfohlenen Teil der Insel an und genieße die Fahrt. Venedig habe ich vor etwa sieben Jahren mal besucht, aber wenig Konkretes in Erinnerung. Umso mehr freue ich mich heute darauf, herumlaufen und die Stadt weiter entdecken zu können. Ich erlaufe mir die frei zugänglichen Exponate der Architektur Biennale und genieße zwischendurch einige Parkbänke mit Aussicht auf Wasser, Tauben, Landschaft oder auch alle drei zusammen.






















Als leichter Regen einsetzt, erwäge ich die von J. empfohlene Restauration aufzusuchen, doch das Tröpfeln nimmt weder zu noch ab. Also laufe ich weiter und genieße es, die hier ohnehin schon sehr menschenleeren Gassen für mich allein zu haben. Einige Brücken und wieder etwas mehr Leben um mich herum erblicke ich ein Aperol für 3,50 € Schild. Benötige ohnehin eine Steckdose und schlage zu. Während ich aus dem Trockenen weiteren Menschen, Tauben und den nun stärker werdenden Regen beobachte, nuckle ich am Aperol und mein Telefon an der Steckdose. Zum Getränk gesellen sich italienisch belegte Brote und zum Herunterspülen ein weiterer Aperol. Bei diesem Angebot wäre es teurer abzulehnen … rede ich mir ein.









Weiter am Wasser entlang, zurück in den touristischen Bereich der Stadt. Eine Pizza & Peroni passt noch. Beim Zahlen im C’è Pizza e Pizza VENEZIA erfrage ich, ob der auf vielen Fotos im Laden mit Auszeichnungen geschmückte Pizzabäcker der sei, der mir meine Marinara aus dem Ofen geholt hat. Ist er. Ich gratuliere und erfreue mich über diesen Glücksgriff, es war auch für mich eine ausgezeichnete Pizza.
Auf dem Rückweg stolpere ich mehrfach. Auch hier gibt es die messingfarbenen Stolpersteine von Gunter Demnig. Es sind mittlerweile über 100.000 Steine in 31 Staaten Europas. Stolpersteine sind das größte dezentrale Mahnmal der Welt und in diesem Moment ein Wachrütteln, dass der Faschismus aus meinem Heimatland bis hier gewuchert ist. An mehreren Hauseingängen mit Stolpersteinen bleibe ich stehen, lese Namen, Geburtstage und die Tage der Vernichtung von Menschen, die einst wie ich durch Venedig spaziert sind.

