Alltagsreparatur: Berlin – Ancona – Terni

Alltag aus, Urlaub an — wenn da nicht diese ganze Vorbereitung wäre. Doch heute wird es entspannter, nehme ich mir vor, heute gehe ich nicht direkt zum Zug. Nein, ich nehme meinen Rucksack und beginne den Urlaub entspannt im Kino. Dort gucke ich einen lauten Film, um herunterzukommen und von dort geht es zum Hauptbahnhof.
Soweit der Plan …
Nicht nur regnet es am frühen Abend in Strömen, auch melden sich in letzter Minute noch IT-Notfälle, die ich beruhigen oder lösen muss. Ich koche, statt ins Kino zu gehen, noch mit Resten aus dem Kühlschrank.

Die letzten Minuten vor Beginn der Reise gehe ich noch einmal durch, was sich an mir, im Rucksack und in der Reisetasche befindet. Letztere habe ich bereits vor zwei Wochen gepackt und lasse sie mittels Privatspedition an das erste Ziel dieser Reise transportieren. Es ist zu viel. Ich habe mir vorgenommen, immer minimalistischer zu reisen, doch die Temperaturdifferenz zwischen Heimat- und Zielland ist sowohl bei Abreise als auch Rückkehr ein Problem. Außerdem gilt es diesmal sowohl Zeit auf Schienen als auch am Pool / Meer zu verbringen. Denn entgegen ursprünglicher Planungen ist Reisekompagnon Ortwin nicht dabei. Er arbeitet gerade auf ein Reihenhaus, eine Heckenschere und einen Farbfernseher hin — kurzum, er muss sparen. Ich werde aber nicht allein bleiben. Nur hin muss ich erstmal kommen. Also los, ich kann nur diesen Zug nehmen, sonst endet die Reise, bevor sie begonnen hat.

Berlin – München (ICE 699)
11.09.2025

Der Berliner Hauptbahnhof ist am Donnerstagabend noch gut besucht. Ich spaziere frühzeitig an Gleis 1 und sehe in der DB-App nach, was die Auslastung des Zuges angeht. Ich erinnere mich erst da wieder, dass ich aufgrund der nächtlichen Fahrt zur Bequemlichkeit einen Fahrschein erster Klasse gebucht habe. Doch eine zusätzliche Sitzplatzreservierung habe ich nicht. Ich erspähe digital einen freien Doppelsitz am Übergang zum Speisewagen und als der Zug einfährt, stehe ich an perfekter Position bereit.
Warum so spät noch los? Mein Anschluss in München fährt leider zu zeitig für den ersten ICE des Tages. Rechnerisch wäre es möglich, aber mit etwas Verspätung und Wechsel vom Hauptbahnhof zum Ostbahnhof würde alles zu knapp. Ich bin daher dankbar für die Verbindung durch die Nacht, obwohl ein echter Nachtzug mir deutlich lieber wäre. Hoffnung besteht, aber es dauert noch.

Gegen halb zehn setzt sich der ICE nach München in Bewegung und ich sitze auf meinem anvisierten zweier Platz. In Leipzig döse ich bereits, den Halt in Frankfurt nehme ich im Halbschlaf wahr. Hin und wieder den eigenen Körper wenden und aus einer unbequemen in eine weniger unbequeme Lage bringen, ist in diesem Nachtzugersatz notwendig. Stuttgart gegen fünf Uhr morgen sorgt dafür, dass ich wach werde. Ebenfalls wach ein Kind im Wagen. Das erste Klasse-Kinderabteil fehlt noch im Angebot der DB.
Bis München döse ich vor mich hin und genieße, die erwachende Welt hinter den Scheiben zu verfolgen. Erstklassig, so eine erste Klasse.

Tipp für Alleinreisende: Um im Schlaf nicht bestohlen zu werden, nehme ich den Rucksack entweder neben mich und hake Schultergurt o.ä. in Arm oder Bein. Für größeres Gepäck und Hostels habe ich meist ein kleines (Zahlen)Schloss im Gepäck. Ich nutze meine Mütze als Schlafmaske, mit Nackenkissen ist es bequemer und AirPods Pro mit Noise Cancelling im Ohr sorgen für Ruhe. Nie vergessen einen Wecker (bestenfalls lautlos, um andere nicht zu stören) für Aus- / Umstieg zu stellen! 
Im ICE kann es nachts kühl werden. Wer Platz hat, nimmt eine leichte Decke mit. Der Aufpreis für die erste Klasse auf Nachtfahrten ist bei frühzeitiger Buchung oft marginal.
Müde in München
12.09.2025

Ich stiefle gar nicht erst aus dem Münchner Hauptbahnhof hinaus. Hier war ich im letzten Jahr und auch vorher schon mehrmals. Die Gegend ist Dauerbaustelle und an vielen Stellen riecht es wie zu Hause in Berlin am Bahnhof Zoo und anderswo. Aber ich bin im Urlaub, also ab in die U-Bahn zum Münchner Ostbahnhof. Dort gönne ich mir ein bayerisches Frühstück auf die Hand und decke mich mit Getränken und Snacks ein.

München Ost – Ancona (RJ 83)

Um 09:30 Uhr besteige ich den RailJet der ÖBB. Hier habe ich einen reservierten Platz, denn nach Abfahrt um 09:44 Uhr fahre ich neuneinhalb Stunden durch. Ein Traum.

Während ich die digitale Bordunterhaltung teste und mir die Speisekarte auf dem Bildschirm anschaue, meldet sich die Privatspedition D&L bei mir:

Deine Tasche und du wart ganz nah beieinander. Haben die Nacht nahe München verbracht.

Ich habe in München zwar nicht mehr geschlafen, aber es ist dennoch beruhigend, dass das Live-Tracking auch ohne AirTag funktioniert. Morgen komme ich nicht nur mit den beiden Transporteuren, sondern weiteren netten Menschen zusammen, die ebenfalls italienische Luft atmen wollen.

Die nach München aufkommenden und bald hinter beiden Seiten des Zuges aufgetürmten Berge sind gigantisch. Sie beeindrucken und lassen alles drumherum klein erscheinen. Ich bin Teil der kleinen Welt, die sich gerade durch diese traumhafte Landschaft bewegen darf und presse mir die Nase an der Fensterscheibe platt. Diese Strecke lohnt sich allein des Ausblicks wegen.

Der vergleichsweise geringe Platz im Tal, der nicht am Hang oder in hunderten Metern Höhe ist, wird genutzt. Ich sehe mehr reife, rote Äpfel an den Bäumen als ich in meinem ganzen Leben essen könnte. An den Hängen Weinberge und dazwischen findet sich noch immer genügend Platz für Zivilisation. An der Weinstraße entlang scheint eine Ernährung mit Äpfeln und Wein möglich zu sein. 

Ein Steinbruch durchbricht das gewohnte Grün und den vom Wetter oder schon immer gefärbten Stein. Die aus dem Felsen gemeißelten Terrassen sehen martialisch aus, doch ehe ich mich weiter in den Anblick vertiefen kann, wird mir die Aussicht genommen. Eine Mauer fängt den Blick, lenkt ihn in einen weiteren Tunnel und die Pupillen gewöhnen sich an das Kunstlicht im Wagen. Nun schaue ich ins Dunkle und in mein Spiegelbild. Da sitzt der Verrückte den 24h unterwegs sein nicht abschreckt und der bereits sein zweites bayerisches Bier (alkoholfrei) vor sich hat.

Reisegetränke
  • Berliner Leitungswasser
  • Quartiermeister
  • Hacker Pschorr Alkoholfrei
  • Münchner Leitungswasser
  • Giesinger Alkoholfrei
  • Augustiner Hell
  • Anconaesches Leitungswasser
  • Ichnusa Non Filtrata 

Zugfahrten verschaffen Ausblick, Überblick, seltener langen Anblick. Die Umgebung wechselt nach einem weiteren Tunnel plötzlich zu weiter Sicht auf der einen und Rückblick in die Berge auf der anderen Seite. Nicht mehr lange und der Bahnhof von Verona hält vor der Scheibe an. Der Zug steht etwas, ich beobachte das Treiben am Bahnhof, dann rollen wir weiter nach Bologna. Hier gedachte ich ursprünglich Station zu machen, doch es war zu verlockend bis zur Endstation zu fahren. Bologna werde ich ein andermal besuchen müssen. Auch gibt es noch genügend andere Gründe das Land erneut zu besuchen. Die Notiz mit Zugstrecken und Zielen ist lang.

Angekommen in Ancona muss ich mich einer Schicht Kleidung entledigen. Lange Hose und T-Shirt muss als Kompromiss für den Abend genügen. Ich stapfe gute zwanzig Minuten vom Bahnhof zu den Hotels, die ich mir auf dem Weg noch zusammengesucht habe. Alleinreisend habe ich Spaß am ungewissen — irgendwo werde ich schon unterkommen. Obwohl sich die Preise online schon in Grenzen halten, bekommt Mensch vor Ort oft nochmals Rabatt, denn es müssen nicht noch 20 % Provision an BookingBnB & Co. gezahlt werden. Die ersten beiden Adressen sind aber entweder bereits voll oder es existiert keine Rezeption, die ich fragen könnte. Also noch ein bisschen weiter spazieren und kurze Zeit später habe ich ein Zimmer für eine Nacht. Wenn auch nicht viel, ein paar Euro günstiger als online ausgeschrieben, ist es am Ende.

Ohne Rucksack ziehe ich nochmals los, bestelle mir zu viel Wein und Abendessen bis ich ins Bett falle.

Mit Trenitalia durch Italia
13.09.2025

Es ist bereits halb neun als ich erwache und da ich mich nicht mehr sicher erinnere, ob es Frühstück bis neun oder zehn gibt, sprinte ich rasant nach unten. Halb zehn lautet die korrekte Antwort, aber wenn ich schon da bin und es ohnehin bezahlt ist …
Mit vollem Bauch dusche und packe ich alles zusammen. Ein kurzer Marsch zur Bushaltestelle, vorbei am schlafenden RailJet und ungewisse Wartezeit später, fahre ich zum Strand.

Am Meer entlang spaziere ich mit der Sonne im Rücken knapp drei Kilometer bis Falconara. Es ist ein sehr touristischer Strand und trotz zahlreicher Mülltonnen fische ich nebenbei etwas Müll aus Meer und Sand. Rechts von mir rauscht das Meer, links knuspern Körper in der Mittagssonne. Die Hochsaison ist merklich vorrüber und doch sind viele Liegen und Handtücher belegt. Nur die kulinarischen und andere Attraktionen sind größtenteils geschlossen. Mich stört das nicht, ich genieße den Menschenslalom der wenigen Entgegenkommenden und kühle meine Füße im Meer bevor ich ganz abtauche.

Der bewachte Badebereich ist nicht sonderlich tief. Die ersten 20 Meter wate ich durchs Wasser, andernfalls würde ich mir wohl den Bauch aufreiben. Dann tunke ich mich ein und schwimme entspannt ein paar Runden.

Tipp für Alleinreisende: Am Strand suche ich mir einen belebten, aber nicht überlaufenen Bereich. Mein Gepäck behalte ich im Auge, indem ich zuerst auf dem Rücken und zurück an Land Brustschwimme. 
Vom Strand zum Zug in fünf Minuten

Nun heißt es vorerst Abschied vom Meer nehmen. Ich schüttle den letzten Sand aus dem Handtuch und reibe meine Füße sauber. Dann geht es durch eine Unterführung die mich an „2001 – Space Odyssee“ erinnert, auf die Straße und in den Bahnhof. Auf dem Weg klicke ich mir das Ticket für knapp 16 €. Die italienischen Regionalzüge sind stark klimatisiert. Nach dem Strandspaziergang und schwimmen in der Adria ist das ein Kälteschock. Ich zerre meinen Pulli aus dem Rucksack und verfluche die erneute Nutzung von Zugfenstern als Werbefläche. Wie durch ein Insektenauge blicke ich nach draußen. Vom Meer geht es Richtung Landesinnere. Der erste Teil der Strecke ist flach, dann erheben sich Berge links und rechts der Schienen und der Zug taucht in die ersten Tunnel ab. Erneut muss ich mich zwischen lesen oder aus dem Fenster sehen entscheiden. Mein erster Reiseroman HAIN von Esther Kinsky spielt praktischerweise in Italien und verzeiht es mir, wenn mein Blick abschweift und ich manche Seite mehrfach lese.

In Terni angekommen, spaziere ich zum nächstbesten Supermarkt. Die Versorgungssituation für Abendessen und Frühstück ist noch unsicher, also lieber etwas Vorräte mitnehmen. Außerdem gilt auch in diesem Urlaub:

„Ausländische Supermärkte sind sightseeing“

– Holger Klein im Realitätsabgleich Wrint 1606 –

Vom Supermarkt leitet mich GoogleMaps zu einem Bus, den ich nur über die App gefunden habe. Die BusItalia App ist nutzlos, auf anderen Apps wird die Verbindung nur manchmal angezeigt und an der Haltestelle selbst gibt es keinerlei Information. Wenn er denn kommt, sollte ich bis fast ans Ziel kommen. Mein Plan B wäre nur ein späterer Bus nicht ganz zum Ferienhaus, aber von dort könnte ich noch leichter abgeholt werden. Gespannt warte ich mit zahlreichen älteren italienischen Damen und ein paar jüngeren Menschen auf Ankunft des Bus. Minuten verstreichen, alle sind entspannter als ich, doch ich lasse mir nichts anmerken. Als die Dame neben mir sich erhebt und auf die Straße deutet, wo tatsächlich ein Bus heranrollt, fällt mir ein Hinkelstein vom Herz.

Eine knappe Stunde Busfsahrt später erreiche ich ein abgelegenes Dörfchen und hier bleibe ich noch ein paar Tage, bis ich mich vom Alltag erholt habe. Dann geht es weiter. Wohin? Abwarten!

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