Orte – Rom -Syrakus

20.09.2025

Eine Woche kulinarische Entspannung liegt hinter uns. Gemeinsam mit alten und neuen Freundinnen und Freunden wurde gekocht, geschwommen, getrunken, geredet, gelacht, gelaufen, gefahren und gedöst. Nun ist es Samstagmorgen, kurz nach sechs Uhr. Zu früh für den Alltag, frisch und voll Vorfreude für weiteren Urlaub.

Ich greife Handtuch, Smartphone und sammle die noch vom abendlichen schwimmen nasse Badehose von der Veranda auf. Es dämmert, ist aber noch taufrisch. Für den Tag der Abreise habe ich mir vorgenommen, den Sonnenaufgang festzuhalten und aus dem Pool heraus zu erleben. Was ich nicht bedacht habe, ist, dass die Berge den genannten Sonnenaufgang hinauszögern. Ich ziehe meine Bahnen daher entspannter und länger als gedacht. Komme auf über einhundert. Das klingt nach viel, addiert sich bei zehn Meter Beckenlänge aber auf lediglich etwas mehr als 1000 Meter. Am Ende stütze ich mich am Rand des Beckens ab und sehe den ersten Stahlen beim Erklimmen des Bergkamms zu. Der glühende Feuerball erhebt sich innerhalb weniger Atemzüge über den Horizont und ich spüre wie die Kühle der Nacht weicht. Das Wasser ist angenehm warm und doch wird es ohne regelmäßige Bewegung frisch im Wasser. Ich heize meinen Körper mit zwei abschließenden Bahnen auf und wechsle vom Pool in die heiße Dusche.

Die folgenden zwei Stunden bis zur Abreise sind schnell erzählt: Aufessen, einpacken & Abschied. Während die Gruppe wuselt, räumt und den Müll hinunter an die Straße bringt, sind die fleißigen Menschen der Weinernte am umliegenden Hang mit ihrem Tagwerk bereits durch und packen zusammen. Glücklicherweise befinden sich in einem der Autos fünf Liter Rotwein für mich. Ich hoffe sehr, dass mindestens vier davon irgendwann in Berlin ankommen.

Wir, denn ab hier begleitet mich die weitere Reise über Schulfreundin Maren, werden auf der Rückbank von F. & C. bis zum schnuckeligen Örtchen Orte mitgenommen. Dort fährt uns ein Regionalzug rüber nach Rom, für den ich noch flink Tickets klicke. 5,10 € pro Person und wir erhalten im Gegenzug einen vollen, nicht klimatisierten Zug der uns bis Roma Termini bringt. Na danke sehr, so möge es bitte nicht weiter gehen.

Der Weg vom Gleis bis zur Metro zieht sich und auch wenn ich vor knapp vier Monaten auf dem Rückweg von Tunesien kurz Station in Rom gemacht habe, erkenne ich vom Bahnhof nichts wieder. Wir nehmen wohl einen gänzlich anderen Weg vom Gleis, als ich damals zum Nachtzug lief. Die Katakomben des Bahnhofs führen uns zur Metro und die bringt uns in wenigen Minuten zur Station San Giovanni. In Rom funktioniert der ÖPNV entspannt mit Check-in via Smartphone oder Kreditkarte.
Wir verbringen die Nacht bei Freunden. A. & C. begrüßen uns und nach kurzer Erholung beginnt eine unerwartet ausführliche und sehr interessante Stadtführung. C. nimmt uns mit in die Geschichte und Kunst der Stadt. Wir sehen, ohne einen Cent auszugeben, fünf oder sechs Kirchen und darin Kunstwerke von Michelangelo, Caravaggio und anderen Kleinkünstlern der Zeit.

Auf der Terrasse eines Hotels überblicken wir die Stadt noch einmal bei Drinks bis A. dazustößt. Zu viert gehen wir Abendessen und lassen den Tag mit zwei umsonst und draußen Konzerten ausklingen. Zurück spazieren wir an tausend Jahre alten Mauern und modernen Wasserspendern im öffentlichen Raum vorbei. Kostenloses Blubberwasser gib es hier. Die spinnen die Römer.

21.09.2025

Nach über 15 Km Romspaziergang gestern, lassen wir es heute entspannter angehen. Nach einem ausgiebigen Frühstück auf der Terrasse wollen wir zur Isola Tiberina und das Bohème-Viertel Trastevere. Früher Heimat der Arbeiterklasse ist es heute hipper Zufluchtsort mit Cafés, Bars, Secondhandshops und Kunsthandwerk. Der Bus, den wir nehmen wollen, kommt erst nicht und ist dann hoffnungslos überfüllt. Wir laufen ein paar Stationen und finden dann Platz in einer Klimaanlage auf Rädern. Wir schlendern heute nicht durch den musealen Teil der Stadt, sondern suchen kleine Läden, Snacks und Unterhaltung. Mit Saft im Magen und Tiramisu to go in der Hand lebt es sich hervorragend und wir finden beide noch tolle T-Shirts und Pullis in kleinen Läden.

Heute Nacht beginnt ein Generalstreik, zu dem mehrere Gewerkschaften aufgerufen haben. Betroffen ist vor allem der öffentliche Verkehr – ungünstig für uns, die wir heute mit dem Nachtzug weiter wollen. Viele Züge und Verbindungen fallen aus oder sind verspätet, ein Notfahrplan gilt nur zeitweise. Der Streik richtet sich nicht primär gegen Löhne oder Arbeitsbedingungen, sondern unterstützt eine humanitäre Mission für die Bevölkerung im Gazastreifen. Als wir uns am späteren Nachmittag in der Tram zu einem Sandwichladen niederlassen, finde ich den Notfahrplan und stelle beruhigt fest, dass unser Intercity Notte nicht betroffen ist. Erleichtert verpasse ich, dass wir hätten aussteigen müssen und bleibe fortan verplant, was den römischen ÖPNV angeht. Erst fahren wir in die falsche Richtung, dann stehen wir auf der falschen Seite der Straße. Wie gut, dass Maren einen Kompass verschluckt hat — wir schaffen es am Abend wieder in unsere Unterkunft.

Bei netten Menschen aufgenommen zu werden, gehört zu den schönsten Dingen auf Reisen. Ein Abendessen, eine erfrischende Dusche und Rucksackpacken später heißt es Arrivederci sagen. Den Weg nach Roma Termini kennen wir bereits. Maren lotst ortskundig durch die Gassen und im Vergleich ist die Nutzung von MarenMaps eleganter als das altbackene GoogleMaps. Neben der richtigen Richtung weist sie auch auf notwendige Vorräte wie Wasser und Bier hin, die eine Nachtzugfahrt angenehmer machen. Ah ja, wohin geht es eigentlich?

Roma Termini – Syrakus (InterCity Notte 1959)

Die direkte Verbindung von Mailand nach Sizilien ist mit knapp 21 Stunden eine der längsten regelmäßig verkehrenden Nachtzugverbindung Europas. Wir sind nun dummerweise in Rom, haben also nur halb so viel Strecke. Doch der Spaß beginnt früher als gedacht, denn unser Zug steht bereits am Gleis bereit als wir gegen 22:30 Uhr ankommen. Wir traben bepackt wie Kamele den Bahnsteig entlang bis Wagen Nummer vier erscheint. Für Maren ist es die erste Fahrt im Nachtzug. Angenehm, dass im Intercity Notte nur vier Menschen pro Abteil liegen. Ein echtes Schlafwagenabteil gäbe es natürlich auch, aber wir sind ja Sparfüchse und fahren lieber für knapp 70 € pro Person und etwas weniger Komfort.

Es liegen bereit: Ein frisches Kissen samt Bezug, ein Schlafsack artiges Bettlaken und eine stylisch synthetische Decke, falls es kühl wird. Heruntergekühlt ist das Abteil bereits gut, noch sind wir aber auch nur zu zweit. Als wir uns eingerichtet haben, wir belegen beide die unteren Betten, zieht unser erste Mitbewohner für die Nacht ein. Ein Geschäftsmann, der routiniert sein Bett vorbereitet, sich in Hemd und Hose hinlegt. Der Ticketkontrolleur kommt und fragt, was wir beide nicht verstehen. Englisch spricht er nicht, mit Blick auf unsere Reisepässe ergänzt er «Deutsch wäre aber möglich». Warum wir nicht auch mal den Schwarzwald bereisen, will er nach Kontrolle von Personalausweisen und Tickets wissen. Da käme er nämlich her. Mir liegt ein «Weil dort kein Nachtzug hinfährt» auf der Zunge, doch es gibt angeblich auch andere Wege zu reisen. Wir fühlen uns wohl, der Nachtzug macht sich auf nach Sizilien und wir öffnen unsere Gute-Nacht-Biere.

Tipps für Nachtzugreisen:
Wo möglich, wechsle ich schon vor Einstieg in den Zug in bequeme Kleidung. Bei sommerlichen Temperaturen empfehlen sich Schlappen im Nachtzug. Leere Hosentaschen eignen sich ideal zur Lagerung von Socken, wenn die Hose ausgezogen wird. Ein kleiner Beutel mit allem für die Nacht notwendigen erspart Rucksack Gewühl auf engem Raum. Auch wenn Verpflegung angekündigt sein mag, ist ein Snack und Wasser immer sinnvoll. Gehörschutz und Schlafmaske bereitzuhalten, ist sinnvoll. Wer kein Abteil für sich hat, sollte mit den anderen Passagieren kurz klären, wie die Tür verschlossen wird — spart nächtliche Probleme.

Der Geschäftsmann schläft bereits. Unschwer zu überhören schnarcht er uns und dem dritten, einem netten Mann aus Portugal, etwas vor. Nachdem wir Rom verlassen und das Abteil abgedunkelt haben, dreht sich der Schnarcher auf die Seite und es wird ruhig. Ich will mich auch gerade hinlegen als es klopft. Ein junger Mann in Uniform fragt auf Englisch, ob wir bereits Getränke bekommen haben. Nur der Portugiese und ich sind noch ansprechbar und verneinen. Der ambitionierte Zugbegleiter macht kehrt, und ward nicht mehr gesehen. Ich harre noch fünf Minuten in der Tür, bevor ich sie wieder verriegle und mich bette … als es erneut klopft. Vier Flaschen Wasser werden gereicht und ich verstaue sie am Fußende der Liege. Noch einmal alle im Abteil zu wecken und mit Mineralwasser auf die Abfahrt anzustoßen, erscheint mir unklug. Also gute Nacht!

06:30 Uhr: Guten Morgen! Die Schnarchnase verlässt uns schon im letzten Bahnhof vor Sizilien. Maren schläft noch selig und ich verfluche auf ein neues das Problem dreckiger Zugfenster. Vor dem Einstieg noch einmal von außen putzen wäre klug gewesen. Leider war der Bahnsteig auf der falschen Seite.

Wir erreichen Villa San Giovanni verspätet, mein Plan das einzuberechnen geht auf. Hier beginnt nun nämlich der spannende Teil: Der Nachtzug lernt schwimmen. Wir werden im Zug auf eine Fähre geschoben, ein Teil des Zuges abgekoppelt, dann wieder heruntergezogen — Gleiswechsel auf der Fähre — noch einmal etwas rangiert und gekoppelt bis alles seinen Platz gefunden hat. Dann dürfen wir aussteigen, müssen aber nicht.

Der Bau einer Brücke über die Straße von Messina ist seit Jahrzehnten umstritten. Das erdbebengefährdete Gebiet und die starke Strömung der Meerenge verkomplizieren alles. Hier könnte in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten mit einer Spannweite von 3,3 km die längste Hängebrücke der Welt entstehen. Das Projekt avisiert rund 13,5 Milliarden Euro – abwarten und Fähre fahren. Nein, Kaffee trinken.
Wir stehen auf der Brücke im Sonnenaufgang und Maren trinkt Automatenkaffee. Kaum vom Land gelöst, legt die Fähre sofort ein Wendemanöver hin, denn wir kommen nur auf dem gleichen Weg von der Fähre herunter, wie wir rauf gerollt sind. Auf dem Schiff ist Zeit genug, das Dach unseres Waggons ausgiebig von oben zu betrachten. Das Licht und Schattenspiel durch Wellengang, Reling und Spiegelungen sind ein faszinierendes Schauspiel für sich. Dazu die beeindruckende Küste von Sizilien. Auf Messina zusteuernd und mit tuckerndem Motor, welcher die ganze Fähre massiert, werde ich mir bewusst, dass ich bereits Luftlinie 1600 km von zu Hause entfernt bin. Da geht noch mehr. Laut Fahrplan sind wir in vier Stunden erst in Syrakus, dann messe ich nochmal nach. 

Auch die letzten Schlafmützen kommen nun an Bord und genießen die Aussicht. Die Kleiderordnung ist dabei fließend zwischen Schlabberlook, Pyjama, Business chic und Uniform — wie die Zugbegleiter:innen demonstrieren. Weitere Seeluft und eine unverständliche Ansage später entern wir erneut Wagen vier und harren der Dinge.

Wir verlassen Messina mit 25 Minuten Verspätung gegen 09:15 Uhr. Links Blick auf das Mittelmeer, hier und da ein Schiff in der Weite bis zum nebeligen Horizont. Rechts sizilianische Berge mit kleinen, knorrigen Bäumen und vertrockneten Hecken. Am Fuße der schroffen Felsen türmen sich teils gigantische Kakteenhecken. Manch Kaktus hat es weit hinauf geschafft und blickt dem vorbeirauschenden Zug mit seinen grünen Ohren hinterher. An den sonnigen Hängen blitzen gelbe und rote Kaktusfeigen auf. Auch einzelne Zitronenbäume mache ich in manchem Gärtchen neben den Gleisen aus. Ich freue mich noch mehr auf die sizilianischen Speisen, die Märkte und hoffe, die Küche unserer Unterkunft hat brauchbare Ausstattung.

Als ich alle Toiletten verschlossen vorfinde, frage ich beim Personal um Rat. Sind etwa schon alle Tanks voll und wir müssen bis Syrakus einhalten? Altes Wagenmaterial, erklärt der Schwarzwälder Schaffner. Die Wagen waren schon im Dienst, als er vor rund zwanzig Jahren angefangen hat. Im ganzen Zug gäbe es inzwischen einzelne Toiletten, die mit Tanks arbeiten, alle anderen offenbaren zwar keinen direkten Schienenblick, auf selbigen landet dennoch alles daraus. Vor und auf der Fähre sind deshalb alle Toiletten gesperrt, um das Personal beim Kuppeln und die Fähre nicht zu beschmutzen. Der Schaffner nutzt seinen Vierkant und sperrt zu meiner Erleichterung wieder auf.

Der Zug ist inzwischen fast leer und der Schaffner hat mehr Zeit für uns. So tritt er mit der Frage nach Kaffee ins Abteil und nimmt Wünsche entgegen. Zurückgekehrt verteilt er grinsend noch eine Extraportion Kekse «Nur, weil wir alle langhaarig sind». Knuspernd und schlürfend sehen wir Sizilien beim Vorbeirollen zu.

Sizilianische Architektur sieht nach klassischem Flachbau aus. Spannend sind die vereinzelt zwischen Bäumen und Kakteen auftauchenden Häuschen im Nirgendwo. Manche scheinen bewohnt, andere sind Ruinen. In den Siedlungen neben den Gleisen sind viele unverputzte Neubauten zu sehen, die zwar noch lange nicht fertig, aber bereits bewohnt aussehen. Neben schöner Natur hat Sizilien auch Raffinerien. Die Thunfischgroßindustrie ist seit Jahren eingestellt.

Zum Ende gibt es noch Empfehlungen vom Schaffner: Der Absatz des Stiefels soll bereist werde: Lecce und die italienische Karibik, weiße Strände von Otranto. Dann wirft er uns aus dem Zug. Wir, die letzten beiden Verrückten in seinem Wagen, die bis zur Endstation durchgefahren sind. «Eine schöne Zeit und gute Weiterreise!» wir erwidern mit «Gute Nacht & schönen Feierabend!» Heute Abend geht es für ihn schon wieder zurück nach Rom. Wir bleiben für drei Nächte hier. Nächte ohne Drehgestelle unter uns. Ohne schwäbelnde Schaffner und ohne Fähre am Morgen.

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