Tag 0 – Anreise Berlin

Es wäre zu einfach gewesen, diese große Reise ausgeschlafen und entspannt von Berlin aus zu starten. Nein, so fange ich gar nicht erst an. Das Wochenende begann auf der Fahrt nach Dresden mit Frühstück im ungarischen EC. Mir gegenüber die liebe M. und der Tisch gedeckt mit Spiegelei, Palatschinken, Tee und Capuccino. Zum Nachtisch Bier und veganer Käsekuchen. Mir schmeckte diese Reise bereits hervorragend.

Ich spule kurz vor: Elbspaziergang, Biergarten, Katastrophentourismus, Eis, Essen, Ab 17 Live-Podcast, Schlaf. Frühstück, Freunde, Abendessen, Kino: „Mit der Faust in die Welt schlagen“. Ausschnitte hier:

Nun stehe ich wieder allein am Bahnhof Neustadt, da der näher als der HBF an der schönen Schauburg liegt, und warte auf meinen Zug. Zur Verspätung auf meiner App muss ich vier Minuten addieren, denn der Bahnnavigator denkt noch immer, ich würde im Hauptbahnhof einsteigen. Ich lasse ihn im Glauben und vertrete mir die Beine. Meine Mission, in den nächsten 24 Stunden nur im Zug zu speisen, beginnt verzögert, aber sie könnte stattfinden.

Verspätung mein, ich ganz allein – werde spät im Bettchen sein.

23:34 Uhr – der Zug rollt ein und im Speisewagen brennt noch Licht.
Die bereits angesammelten 34 Minuten Verspätung würde die Deutsche Bahn in etwa 26 Minuten mit Mineralwasser ausgleichen. In der Tschechischen Eisenbahn fließt Bier. Frisch gezapft und in (zu kleinen 0,3-L) Gläsern serviert, ist es den Fahrgästen hier herzlich egal, wie lange die Fahrt dauert – so lange noch Bier an Bord ist, passt alles. Der Speisewagenschaffner nimmt meine Bestellung kühlen Gestensafts auf und deutet auf die Karte. »Gibt es wirklich noch Küche?«, frage ich, und auch wenn ich keinen Hunger verspüre, öffne ich die Karte, während mein Bier geholt gezapft wird. Ich habe heute bereits gut zu Abend gegessen, aber es wäre unhöflich, hier nicht zu essen. Die České Dráhy mustert die Speisewagen, in denen noch wirklich gekocht und gebraten wird, Stück für Stück aus. Erst heute Morgen kam die Botschaft von Bahnfreund N., dass am 10.5. der erste neue Bistrowagen auf der Strecke Flensburg – Berlin eingereiht wurde. Ist dies also womöglich meine Abschiedsfahrt? Ich schiebe alles Sättigungsgefühl beiseite und studiere das vielfältige Menü, als ein schaumgekröntes Glas Pilsener Urquell vor mich gestellt wird. Der freundliche, aber auch fleischige Finger des Bierboten zeigt mir in der Karte auf, was überhaupt noch vorrätig ist und schränkt die Auswahl deutlich ein. Zu meinem Bier bestelle ich daher noch das klassische Schnitzel mit Kartoffeln. Einfach, aber besser als so vieles im „Bordrestaurant“ der DB. Die heiße Pfanne, die hier statt, bzw. Vlt. auch nur zusätzlich zur Mikrowelle arbeitet, macht den Unterschied. Es mag an Bord des tschechischen Eurocitys nicht das beste Schnitzel der Welt geben, aber das beste auf Schienen ganz sicher.

Während der Zug sich neben dem Vollmond in Richtung Hauptstadt schiebt, erinnere ich mich an die vielen schönen Momente im Speisewagen. Da wäre die Rückfahrt mit Freunden aus der Schule, als wir Silvestern in Prag gefeiert hatten. Ich floh aus dem vollen Abteil mit G. hierher und wir genossen Gurkensalat und Schnitzel. Ein andermal, gemeinsam mit Ortwin, überraschte ich Samson kurz nach dem Bahnhof Südkreuz – er dachte es ginge zu einem Auftritt in Dresden, stattdessen fuhren wir nach Pilsen, badeten in Bier und besuchten die Pilsener Urquell Brauerei. Zuletzt stieg ich in den Speisewagen als es ebenfalls nach Dresden ging. Schon der Bahnsteig quoll über vor Menschen, das Gedränge an der Tür zum Genusshimmel auf Schienen ließ Faustkampf vermuten. Ich schaffte es ohne nennenswerte Blessuren an Bord und ergatterte den letzten freien Platz. Freund A. verpasste den Zug knapp, schickte aber Grüße und Lektüre zu mir. Er nahm den nächsten Zug und wir trafen uns in Dresden zum gemeinsamen Dampflokfahren.
Zurück ins jetzt:
Der Zug wackelt, doch der Kellner läuft zielstrebig mit zwei Tellern in der Hand auf mich zu und serviert. Güldene Erdäpfel und knusprige Panade – mehr ist es nicht, mehr braucht es nicht. Es sind Momente wie diese, mit mir sind nur sechs andere Menschen im Waggon, in denen ich das Leben in vollen Zügen genieße.

Mein Teller ist leer und der Mond begleitet uns weiterhin, voll und rund. Auch ich bin zwischenzeitlich so zu bezeichnen und stelle mir einen Sicherheitswecker. Ich kann den Ausstieg, der gleichzeitig Endbahnhof ist, nicht verpassen, würde aber ungern erst bei Ankunft geweckt werden. 495 tschechische Kronen kostet die Mahlzeit, die mich bierselig in Berlin ankommen lässt. 20€ sind das umgerechnet, mehr als eine Reservierung aber auch nahrhafter. Fröhlich angetrunken unterhalten sich zwei junge Leute am Nachbartisch auf Englisch darüber, dass die Deutschen partout nicht mit Fremden sprechen wollen / würden und Menschen selbst im Speisewagen nicht mit anderen ins Gespräch kommen. Ich lausche mit einem Ohr, während ich diesen Text schreibe. Als alles Wichtige notiert ist, klappe ich das iPad zu und wende mich den beiden zu:
»Let me prove you wrong: I‘m German and I‘d love to talk to you. But I had this important, Beer, Schnitzel and blog post to finish because I‘m a famous travel blogger and travel bloggers need to do that.«
Wir unterhalten uns die letzten 50 Minuten bis Berlin angeregt und angetrunken. Wie praktisch, dass Sprachbarrieren mit leereren Gläsern zunehmend sinken. Zum Ende landet das letzte von vielen Bieren des Musikers auf dem Boden und seine Begleitung lädt mich in die Ukraine ein. Mit Menschen sprechen hat noch nie geschadet, aber evtl. riecht dein Schuh später nach tschechischem Pils.

Nachtbus, Spaziergang durch den kühlen Berliner Mai und dann ins Bett fallen. Der Wecker klingelt früh denn der nächste Zug ruft. Frankreich, ich komme oder, wie der Fönig sagen würde »Kranfreich ich fomme«

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