Auf zu neuen Abenteuern

Samstag, kurz nach Mitternacht. Ich fahre mit Gepäck auf dem Rücken zum Hauptbahnhof. Mehr Gepäck als sonst, meine Wirbelsäule schmückt ein Wanderrucksack, an dem außen drei Wanderstöcke baumeln. Drei? Ja, das wird im folgenden alles noch Sinn ergeben. Vorerst stehe ich um ein Uhr nachts an Gleis drei und warte auf Ankunft des ICE 101, der mich bis zum Frühstück nach Köln bringen soll. Diesen Nacht-ICE nehme ich nicht zum ersten Mal. Im Januar 2024 traf ich mich nach einer nächtlichen Fahrt morgens mit Arian und Sarah im Phantasialand. Am Abend zischten Arian und ich noch ein paar Kölsch, bevor es erneut mit dem Nacht-ICE gemeinsam zurück nach Hause ging. Heute ist Köln nur ein Umstiegsbahnhof und dieser erste Reisetag der Anfang einer ganz besonderen Tour. Da rollt der Zug ein und ich entere zielsicher das kleine Abteil an der Spitze des Zuges. Hier fühlt Mensch sich des Nachts erstklassig aufgehoben, obwohl es die zweite Klasse ist. Mit mir sind nur zwei andere Reisende auf der Rückbank des Lokführers und wir stellen bald beruhigt fest, dass hier drei Train-Nerds zusammengefunden haben. Der liebe Benni und sein Kumpel wissen noch gar nicht genau, wo es hingehen soll, eingestiegen sind sie vorsorglich aber erst einmal. So sitzen ein Bahncard100 privilegierter, ein Bahnmitarbeiter und ich beisammen, tauschen Reisegeschichten aus, lachen/weinen über Infrastruktur und schauen zum Fenster in die Nacht hinaus. Um kurz nach drei beschließe ich doch noch eine Mütze Schlaf einzusammeln. Bis zur Ankunft in Köln sind es nur noch knapp 3 1/2 Stunden. Also Mütze über die Augen, Kopfhörer in den Gehörgang geschoben und ab ins Land der flachen Dächer. Mein Kopf wird in den folgenden Stunden wahlweise an Scheiben, Lehne oder Tischplatte kleben. Sicher ist ein 2. Klasse Vierer kein Luxus, doch ich möchte meinen ersten Reisetag des Interrailtickets sinnvoll einsetzen. Insofern stand ich vor der Wahl sehr früh loszufahren und später einen schönen Zwischenstopp zu haben oder drei Züge hintereinander zu nehmen. Als ich langsam wacher werde, sind es die anderen beiden bereits. Sie haben sich, erzählen Sie, recht bald gegen schlafen entschieden und stattdessen das Bordbistro heimgesucht – logisch, das ist der Kühlschrank für Schlafwandler auf Schienen.
Inzwischen steht auch die Reiseroute der beiden und wir verlassen den ICE gemeinsam am Kölner Hauptbahnhof. Nach etwas Trainspotting am Gleis verabschiede ich mich und umrunde einmal den Kölner Dom.

Für viel mehr ist keine Zeit, der Zug nach Brüssel wartet. Ebenfalls in Brüssel wartet Freund J. bereits auf mich. Korrekterweise sollte ich um diese Uhrzeit eher „er liegt bereit“ formulieren. Er ist mit mehr Komfort und Verspätung bereits gestern mit dem European Sleeper über Nacht angereist und hat sich die Zeit auf einem Festival vertrieben. Am Bahnhof Brüssel Midi lege ich meinen Rucksack für nur 9 € in ein Schließfach der Größe L, um mich dann mit der Straßenbahn in J. Richtung zu begeben. Um Punkt zehn formuliere ich eine guten Morgen Botschaft an ihn.

J. ist Meister des Boomer-Selfies. Er perfektioniert diese Kunstform bereits seit langem und stellt seine Werke alsbald in der Gemäldegalerie c/o Kulturhaus Karlshorst aus.

Da sich die Auferstehung des ersten Mitreisenden aus Gründen verzögert, spaziere ich über den direkt an der Station Flagey gelegenen Markt. Hier gibt es Fisch, Fleisch, Gemüse, Speisen aus vielen Kulturen und natürlich frische Austern. Überlege J. damit zu locken, verkneife es mir aber. Statt meinen aufkommenden Hunger direkt zu stillen, spaziere ich noch um den See und schaue den Brunnen beim Springen zu.

Ich treffe J. schließlich vor einer Bäckerei und wir decken uns jeder mit Gebäckteilchen ein. Er berichtet kauend vom gestrigen Festivalbesuch und ich krümelnd von der bisherigen Anreise. Da J. seinen Rucksack noch in seiner Unterkunft gelassen hat, treibt es uns nach dem Frühstück dorthin zurück. Nach ein wenig ausruhen werden alle Habseligkeiten in den Rucksack gestopft und wir machen uns auf den Weg zu einer naheliegenden Frittenschmiede. Ich bin doch nicht so früh am Morgen los, um Brüssel ohne eine Portion Fritten und Bier zu verlassen.

Die Zeit rennt, wir nehmen die Tram und ich befreie meinen Rucksack wieder aus dem Schließfach. Der Check-in beim Eurostar geht schnell und nahezu reibungslos. Lediglich meinen Pass erkennt die Maschine nicht und ein menschlicher Ersatz muss her, um mich nach Großbritannien zu lassen. Allmählich äußert sich die Müdigkeit und ich nutze die Wartezeit bis wir den Zug betreten dürfen für ein Nickerchen. Von J. geweckt stellen wir uns eine knappe halbe Stunde später mit allen anderen Menschen kurz an, werden dann aber von einer Ansage über die Verspätung unseres Zuges informiert. Ich lege mich diesmal hin. Als wir es in den Zug geschafft haben, döse ich weiter und irgendwann sind wir da. Es ist meine vierte Fahrt mit dem Eurostar und ich bin routiniert. Ich bitte deshalb auch fehlendes Bildmaterial zu entschuldigen.

In London angekommen, verfahren wir uns mit zwei Bussen zum Hostel. Abendessen gibts aus dem Supermarkt und nach einem Bier falle ich ins Bett.
Was wir nach London vorhaben? Davon berichte ich auf der nächsten Etappe. Nun stehen uns erst einmal zwei Nächte hier bevor.

Berlin – Brüssel – London. 1147 Km mit der Bahn an einem Tag kein Problem. [Ein Klick öffnet die interaktive Karte für mehr Details]

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