Caledoinian Sleeper Lounge
Um achtzehn Uhr beginnt unsere Reise mit dem Caledonian Sleeper . Eine Reise auf die ich mich enorm freue. Diesen Zug habe ich auf der Fähre nach Tunesien im Hafen von Marseille liegend gebucht. Freund J. habe ich da noch verschwiegen, dass ich statt einer normalen Zwei-Bett-Kabine das etwas bessere Upgrade geklickt habe. Was auch mir nicht bewusst war: Wir haben damit sogar vorab Loungezugang. Somit stehen wir um kurz vor achtzehn Uhr am Gleis im Bahnhof Euston vor der Lounge für alle Fahrgäste, die sich heute Nacht schlafend von London in die schottischen Highlands schaukeln lassen. Der Check-In ist schnell, entspannt und ehe ich das Wort Körperpflege buchstabieren kann, verschwindet J. mit frischem Handtuch unter dem Arm in die für Loungegäste kostenfreien Duschen. Ich widme mich dem kleinen Buffet und diesem Blogbeitrag, schreibt sich ja nicht von allein so ein Tagebuch. Was haben wir denn eigentlich vor?
Die Tour de Bier
Wie viele Reisen beginnt diese Geschichte mit einem Video. Ortwin schickte es mir am 12. Dezember 2023 und auch wenn die Schlagzeile „Free Beer“ nicht mehr stimmt, nahm die Schnapsidee da ihren Lauf …
»Find den Gedanken sehr sexy. Und Schottland hatte ich eh noch auf dem Zettel. Vielleicht zusammen mit dem berühmten Nachtzug bis fort William. Hab aber noch nicht auf die Karte geguckt, ob das in der gleichen Gegend ist.« – Nachricht von Ortwin an mich
Den Link schicke ich auch an M. und wie es so kommt, bleibt eine Idee dann oft etwas liegen um zu reifen. Am 31. Oktober 2024 schrieb ich schließlich einen Text, erstellte eine Chatgruppe und fügte alle Menschen dazu, die Interesse an einem solchen Abenteuer haben könnten:

Es wird Malzig. Im Sommer 2025 startet die Tour de Bier, eine Reise von Berlin bis in den am weitest entlegenen Pub Schottlands und zurück. Die ganze Reise kann entspannt mit Bahn, Beinen und Fähre absolviert werden – Wer abkürzt und den Flieger nimmt, gibt den übrigen eine Runde aus. Grober Bahnfahrplan: Wir starten abends um kurz vor elf in Berlin und steigen in den European Sleeper gen Brüssel. Das schnuckelige Sechserabteil gehört uns und bierselig schlafen wir alle bis zur morgendlichen Ankunft gegen halb zehn in Belgien. Hier gibt es Waffeln und, ja du ahnst es, Bier. Dann geht es in den Eurostar der durch den Tunnel auf die Insel der verrückten Briten fährt. Hier endet Europa und sie haben komisches Geld. Pack deine Kreditkarte ein, dann brauchst du kein Bargeld. Wir verbringen den Tag in London - bei Bedarf auch eine Nacht. Mit dem Caledonian Sleeper geht es dann über Nacht nach Fort William oder wir entscheiden uns für eine Verbindung bei Tageslicht und zählen Schafherden. In Schottland wird das Verkehrsmittel gewechselt. Notgedrungen fahren wir vermutlich mit Bus und Taxi bis zum Startpunkt der Wanderung. Von nun an sind wir per Fuß unterwegs.
[hier Planung von Ortwin mit allen Details zur Wanderung und Pub einfügen]
Mit Brummschädel und Fähre geht es nach Mallaig. Dort besteigen wir endlich wieder einen Zug und können die nächsten fünfeinhalb Stunden rausgucken und Landschaft sehen. Umstieg in Glasgow und Edinburgh, dann sind wir in Newcastle angekommen. Hier geht es zur Abwechslung wieder auf eine Fähre und wir setzen entspannt über nach Europa, konkret IJmuiden bei Amsterdam. Ausgeschlafen geht es entweder in die Amsterdamer Pubs oder direkt zum IC nach Berlin
Ein paar sagten direkt zu, andere unter Vorbehalt und manch stilles Augenpaar verblieb in der Gruppe, um uns zu verfolgen, wenn auch nicht selbst mitzureisen. Wir trafen uns zum Vorbereitungstreffen und ich war fest davon überzeugt, dass der Zeitplan durch ausgebuchte Unterkünfte, zu hohe Bahnpreise und fehlende Urlaubstage dieses Jahr nicht zu halten wäre. Wie konnte ich meine Freundinnen und Freunde nur so unterschätzen: Noch von der WG-Couch aus wurden erste Betten klargemacht, Verbindungen recherchiert und ein paar Tage später stand fest: Wir können ohne Zelt und Schlafsack reisen! Das ist von Vorteil, wenn ein Grüppchen von 7 Menschen ohne regelmäßige Treckingerfahrung mal eben zum Bier trinken loszieht. Die Tour de Bier sollte Realität werden. Aus Gründen kamen wir aus allen Teilen der Republik oder sogar anderswo zusammen. M. landete am Samstag in Edinburgh, wo sich Ortwin, L. und Samson ebenfalls einfanden. Gemeinsam sammelten sie den ebenfalls per Bahn angerollten Arian in Glasgow ein um sich mit uns in Fort William zu vereinen. Doch dort sind wir noch nicht.
London Euston – Fort William über Nacht




Zurück in die Lounge: Ich bin bereits im Sommer 2024 auf einer Mutter-Sohn-Reise von Rotterdam via Hull nach Edinburgh und Fort William just mit diesem berühmten Nachtzug zurück nach London gefahren. Damals konnte ich die Qualität noch nicht selbst einschätzen, die Erfahrung war sehr toll und nun in die andere Richtung zu fahren vervollständigt diese Route. Ich nutze ebenfall noch die Möglichkeit einer Dusche. Der Schweiß des Tages klebt auch an mir. Um 20:30 Uhr werden wir von der Lounge in den Zug gebeten. Die Bäuche voll mit Keksen und Softdrinks. Den Kopf schon einmal leer geschrieben. Wagen D, Kabine 6 ist die unsere und was für eine: Zwei Betten, ein Waschbecken und eine Kombination aus Dusche und Toilette (keine Sorge, wir müssen nicht in der Schüssel stehen und spülen). Nachdem wir die Rucksäcke verstaut und unsere Frühstückswünsche angekreuzt haben, macht sich J. auf zwei Plätze im Club-Car fürs Abendessen zu reservieren. Wir verlassen London planmäßig um 21:15 Uhr und wollen das verbleibende Tageslicht nutzen, um hinauszuschauen. Dazu gibt es natürlich Bier, für J. eine Portion Mac & Cheese und für mich eine Auswahl drei Veganer Gerichte: Moroccan style falafel, vegetable biryani & vegetable chilli wraps. Als Nachspeise knuspern wir jeder ein Tütchen Kartoffelchips, trinken Tonic auf Eis und spielen Mühle.




Dann ist es auch schon Zeit ins Bett zu gehen. Das Doppelstockbett ist bequem und die Bettdecke dick. Ich lese noch etwas und schlafe schaukelnd ein. Ganz durchschlafen tue ich nicht, schlafe aber sehr gut. Die Nachzugfahrt von Venedig nach Wien toppt der Caledonian was Schlafqualität angeht nicht, aber runder herum ist alles perfekt und das ist auch nur meine Perspektive.
Am morgen habe ich eine SMS:
»Good morning, I do hope you have had a restful night. I’m sorry to tell you that we are running approximately 60 minutes late. This was due to a temporary line closure. We are hopeful we may make some of this time back, but if you are delayed by more than 30 minutes, you will be entitled to Delay Repay compensation.«
SMS von CalSleeper
Uns stört das nicht, obwohl wir vielleicht doch den Haken für „Frühstück bei Verspätung nach hinten schieben“ hätten setzen sollen. So müssen wir unser Frühstück im ClubCar pünktlich um 08:30 Uhr einnehmen. Noch ist es dafür zu früh, ich bin um kurz nach sieben erwacht. Genug Zeit also noch ein bisschen den Schienen zu lauschen. An manchen Stellen streift der Zug Äste und es quietscht kurz. Während wir rollen, gluckert es manchmal. Vermutlich schwappt es in den Wassertanks etwas hin und her – gut zu wissen, dass noch Wasser in den Tanks ist. Ich stehe motiviert auf. Eine Dusche auf Schienen gehört für mich zu den tollsten Dingen auf Reisen. Dass wir gestern bereits in der Lounge die Möglichkeit genutzt haben, schmälert meine Freunde kaum, sondern macht das Wasser nur nicht ganz so schmutzig. Die Kabine mit Dusche und Toilette ist multifunktional: Ein Klappmechanismus versteckt die Schüssel unter einem Deckel und ich könnte mich auch im Sitzen waschen. Haltegriffe wären ebenfalls da, mein Gleichgewichtssinn und die langsamere Fahrweise des Zuges machen es nicht notwendig. Während J. noch träumt und wir uns mit etwas Verspätung kurz hinter Glasgow befinden, schäume ich mich ein. Ich wecke Reise- und Abteilgenosse J. zärtlich mit einem dreifachen Tschu-Tschu-Tschu und winke Arian in Gedanken zu, der noch Bierselig irgendwo in Glasgow schlummert.
Auf dem Weg in den Club-Car freue ich mich auf meine Breakfast Roll und genieße die Aussicht bis auch J. sich aus dem Bett geschält hat. In der kleinen Kabine ist es durchaus sinnvoll nacheinander aufzustehen oder sich noch einmal hinzulegen, bis die Begleitperson auch bereit ist unter Menschen zu gehen. Wir sind beileibe nicht für einen fancy britischen Zug gekleidet, muss Mensch hier auch nicht. Stimmung und Personal and Bord sind freundlich, britisch höflich und alles funktioniert sehr gut und harmonisch. Die Aussicht ist so toll, ich kann und möchte gar nicht alles fotografieren – zu viele Impressionen auf einmal zu verdauen und gleich auch noch Frühstück.









Aus meinem angekreuzten Frühstück werden mangels Vorräten Pancakes mit Beeren, die ebenfalls gut schmecken und meinen kleinen Reisehunger stillen. J. genießt sein Rührei mit Lachs und Brötchen und wir schlürfen Tee dazu. Er schwarzen, ich grünen. Das Leben auf Schienen ist eines der schönsten, schreibe ich nach dem Frühstück in meinen Reisecomputer. Kauend steht J. auf, um mich zu fotografieren: »Es muss doch mal ein Foto geben, in dem zu sehen ist, wie du dieses Blog schreibst«. Bitteschön:

Wir rollen weiter Richtung Fort William, die Verspätung von etwas über einer Stunde stört nicht. Es wird sich entschuldigt und wir bekommen erklärt, dass eine Rückerstattung mangels Pünktlichkeit bereits veranlasst wurde. Also kein Grund zur Sorge und mehr von der schönen Aussicht. In Fort William heißt es für die nächsten Tage Abschied von Schienen zu nehmen. Auch wenn dieses Blog mit „Hauptsache auf Schienen“ untertitelt ist, berichte ich natürlich weiter von der Tour de Bier.




Dafür muss aber noch gewaschen werden. Google Maps hat uns im Vorhinein bestätigt, dass es am Bahnhof einen Waschsalon gibt. Es ist zwar kein Salon, sondern ein Automat mit zwei Waschmaschinen und einem Trockner, aber das stellt ja kein Problem dar. Dass das dumme Ding nicht funktioniert allerdings schon. Ein Pärchen zieht gerade seine schmutzige, noch trockene Wäsche wieder aus der Maschine und erklärt uns, dass das Bezahlterminal nicht läuft. Sie ziehen ab und wir probieren dennoch unser Glück. Ich schaffe es zumindest dem Androidsteuertablet, dass in der Maschine verbaut ist, wieder mehr als einen „Page cannot load“ screen zu entlocken, aber mehr geht nicht. Auch der zu hilfe angerufene und angeschriebene Support kann aus der Ferne nichts tun. Das Gerät wäre aber in den nächsten 24h repariert, versichert man uns. Nicht hilfreich, dann sind wir schon über alle ein paar Berge.
Etwas Recherche später sitzen wir im Bus zu einem wirklichen Waschsalon. Dort fast angekommen, laufen uns zwei ebenfalls mit Rucksack bepackte Touristinnen entgegen. Die beiden wollten auch waschen, die Anlaufstelle ist aber nicht für Walk-In Schmutzwäsche, sondern nur Abholung und Lieferung zu haben. Schade.
Die beiden gehen weiter zu einer Tankstelle, an der es auch eine Option geben soll. Fünfzehn Minuten später stehen wir Schlange um waschen zu dürfen. Es ist der gleiche Automat wie am Bahnhof, nur diesmal funktioniert er. Eine kleine Wäschetrommel und eine große drehen sich. Auch der große Trockner ist besetzt und vor uns sind noch mindestens drei Ladungen Schmutzwäsche. Wir teilen uns auf. Ich harre der Dinge und warte bis unser Bündel sauber werden kann, J. geht einkaufen, um Vorräte für die Gruppe zu holen. In der Warteschlange lerne ich ein deutsches Pärchen kennen. Auch sie waschen hier und sind schon länger im Van unterwegs. Remote arbeiten und die Welt erkunden – was für ein Traum.
Während sich schließlich auch unsere Wäsche dreht und die beiden Ladung Nummer zwei im Trockner haben, tauschen wir Reisegeschichten und Tipps aus. Kurzfazit: Ich muss noch einige andere Teile des Landes erkunden und kann den beiden aus dem Van einen Besuch in Ouarzazate ans Herz legen, wenn sie in Marokko sind. Georgien wiederum ist auch schön.
Weil wir die gleiche Richtung haben, nehmen uns die beiden im Van mit zurück zum Bahnhof. Wir sind sehr dankbar, haben sich zu unseren Rucksäcken und sauberer, trockener Wäsche immerhin noch zwei Tüten Einkäufe gesellt. Grüße in den Van, allzeit gute Fahrt und immer genug Strom aus den Solarpanelen!
Es geht los

Nachdem J. noch letzte Besorgungen im Supermarkt und Outdoorladen für uns erledigt hat, vereinen wir uns endlich mit der gerade angekommenen Gruppe. Aus Edinburgh angereist hat Ortwin von eben dort Samson, L. und M. mitgenommen und auf dem Weg in Glasgow Arian eingesammelt. Nun stehen wir um kurz nach vier vereint in Fort William und freuen uns. Während wir uns in Etappen mit ein paar weiteren Lebensmitteln, Mückenschutznetzen und Taschenmessern (so ein Wanderstock will ja auch geschnitzt werden) eindecken, bringen wir uns auf den neusten Stand, was unsere Anreisegeschichten angeht. Nur Arian, J. und ich sind gänzlich per Bahn angereist, deshalb spare ich die Flughafengeschichten der anderen hier aus.
Wir kommen leider auch nicht auf Schienen weiter, sondern besteigen einen Bus nach Shiel Bridge. Von dort wandern wir als aufwärmung knapp 2 Km zu unserer Herberge, dem Ratagan Youth Hostel.
Freundlich begrüßt beziehen wir unser Zimmer, bestellen Bier und Abendessen (praktisch eingefroren und zum selbst erwärmen – allein diese Erfahrung wäre einen ganzen Blogpost wert). Wir nehmen noch die goldene Stunde mit und schlüpfen dann in unsere Stockbetten. Morgen geht es los, 08:00 Uhr ist start für die Tour de Bier.


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